Leitsatz (amtlich)

1. Zur Feststellung der Testierunfähigkeit eines unter Betreuung stehenden Erblassers.

2. Ungeachtet der nach wie vor fehlenden Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind, kann ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin und eines "Seniorenbetreuers" sittenwidrig sein, wenn - wie vorliegend - eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einer von ihr herangezogenen Notarin in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen.

3. Dass als Folge der Nichtigkeit des Testaments der Fiskus erben wird (§ 1936 S. 1 BGB), verändert den Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB nicht zu Gunsten der eingesetzten Erben.

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 2. März 2020 verkündete Teilurteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Den Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines die vollstreckbare Forderung um 20% übersteigenden Betrages abzuwenden, soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 290.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Am ... 2012 verstarb der am ... 1929 geborene K. R. H. W. V. Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Abkömmlinge.

Er war im Dezember 2004 aufgrund einer neu aufgetretenen Gangunsicherheit in der H.-S. in H. stationär aufgenommen worden. Aufgrund zunehmender Verwirrtheit wurde der Erblasser am 29. Dezember 2004 in die Psychiatrie der M. (...) verlegt, wo mittels erneuter Computertomografie des Kopfes ein frischer Hirninfarkt links temporal und occipital unter Einschluss des Thalamus links im fast kompletten Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior links diagnostiziert wurde.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover in 670 XVII V 476 (Beiakten) vom 5. Januar 2005 wurde die Beklagte zu 1 als Berufsbetreuerin zur vorläufigen Betreuerin des Erblassers bestellt. Als Aufgabenkreis wurde bestimmt:

Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die unterbringungsähnlichen Maßnahmen, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 7. Januar 2005 wurde die Beklagte zu 1 mit dem Aufgabenkreis aus dem Beschluss vom 5. Januar 2005 zur Betreuerin bestellt.

Am 1. April 2005 wurde der Erblasser aus dem Krankenhaus L., wo er mehr als zwei Monate stationär behandelt worden war, entlassen und zog in das G.-W. H.-K., wobei er von Anfang an und bis zu seinem Tod auf der gerontopsychiatrischen Pflegestation untergebracht war (Bl. 678 Rück).

Vom 3. bis 6. April 2005 sowie vom 24. Mai bis 3. Juni 2005 befand er sich aufgrund "zunehmender Allgemeinzustandsverschlechterung" zur stationären Behandlung im V. in H. (Bl. 344 e ff. und 344 n ff.).

Mit notarieller Urkunde der Notarin C. vom 4. Mai 2005 (UR-Nr. ...8/2005, 51 IV 55291/05 Amtsgericht Hannover, S. 10) errichtete der Erblasser im Wohnstift H.-K. (in Anwesenheit der Beklagten zu 1, Bl. 299, 679) ein Testament, in dem es im Wesentlichen heißt:

"Die Notarin überzeugte sich durch eine Unterhaltung mit dem Erschienenen von dessen Testierfähigkeit.

Der Erschienene erklärte vorab:

Ich bin nicht verheiratet und habe keine Kinder. Ich will ein Testament errichten und erkläre meinen letzten Willen wie folgt:

"Ich setze hiermit Frau Rechtsanwältin W. W. (...) und Herrn F. B. (...) zu meinen Erben ein, und zwar untereinander zu gleichen Teilen (...)."

Den Wert meines Vermögens gebe ich mit 350.000,00 Euro an.

(...)"

Mit Schreiben vom 22. November 2005 wandte sich die Beklagte zu 1 an das Amtsgericht Hannover und erklärte, die Verlängerung der Betreuung sei "sicher erforderlich. Obwohl sich der Gesundheitszustand von Herrn V. herausragend gebessert hat, ist er nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass eine Besserung insoweit eintreten wird, dass eine Betreuung zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr notwendig wäre. Der Aufgabenkreis ist in seinem bisherigen Umfang erforderlich aber auch ausreichend.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 8. Dezember 2005 wurde die bestehende Betreuung verlängert; das Gericht werde - nach Ablauf der gesetzlichen Maximalfrist - spätestens bis zum 8. Dezember 2012 über eine Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung beschließen.

In dem Protokoll der richterlichen Anhörung, die dem Verlängerungsbeschluss zugrunde liegt, heißt es u. a.:

"Der Betroffene war voller Misstrauen und versta...

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