Leitsatz (amtlich)

Der räumliche Geltungsbereich der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden in der Sitzung im Sinne der §§ 176 ff. GVG erfasst auch solche Störungen, die zwar außerhalb des Gerichtsgebäudes stattfinden, die dabei jedoch unmittelbar in den Sitzungssaal hineinwirken (hier: Schlagen gegen das Fenster des Sitzungssaales von außen).

 

Normenkette

GVG §§ 176, 178

 

Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten der Beschwerdeführerin verworfen.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung ist dadurch erledigt.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

 

Gründe

I. Am 03.01.2011 verhandelte das Amtsgericht - Strafrichterin - Lüneburg gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des Hausfriedensbruchs. Zuvor hatte der Angeklagte die Beschwerdeführerin, die keine Rechtsanwältin ist, mit Genehmigung des Gerichts als seine Verteidigerin gewählt. Diese Genehmigung hatte das Gericht mit Beschluss vom 07.12.2010 zurückgenommen. An der Hauptverhandlung vom 03.01.2011 nahm die Beschwerdeführerin als Zuschauerin teil.

Am Schluss der Sitzung erließ die Vorsitzende auf Antrag des Vertreters der Staatsanwaltschaft gegen die Beschwerdeführerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,- EUR, ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft, weil sie "entgegen mehrfacher Aufforderung die Hauptverhandlung störte".

Dem liegt ein Vorgang zugrunde, der in der Sitzungsniederschrift wie folgt wiedergegeben wird:

"Während der Zeugenvernehmung sprang ein Zuschauer aus der hintersten Reihe auf und stürmte zum Angeklagten, warf einen Zettel auf den Tisch und verließ schnellstens den Sitzungssaal.

C. L. wurde aufgefordert, den Saal zu verlassen, da sie wiederholt störend dazwischen rief. Ihr wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Sie verweigerte sich, den Saal zu verlassen und musste mit Hilfe der Justizwachtmeister aus dem Saal entfernt werden. Dabei ließ sie sich fallen.

(...)

Die Zeugenvernehmung wurde fortgesetzt.

(...)

Plötzlich war C. L. von außen auf den Fenstersims geklettert, schaute in den Sitzungssaal und schlug mehrfach mit den Händen störend gegen das Fenster.

(...)

C. L. wurde durch Justizwachtmeister vom Fenstersims entfernt."

Eine Abschrift des mündlich verkündeten Ordnungsmittelbeschlusses wurde der Beschwerdeführerin am 31.03.2011 zugestellt. Mit dem Rechtsmittel der Beschwerde, das beim Amtsgericht am 04.04.2011 eingegangen ist, wendet sie sich gegen die Festsetzung der Ordnungsmittel dem Grunde nach. Sie wendet insbesondere ein, das Gericht habe seine sitzungspolizeiliche Befugnis überschritten, weil es sich bei dem Vorgang um eine - angebliche - Störung außerhalb des Gerichtsgebäudes gehandelt habe. Hier einzugreifen sei Sache der Polizei. Zudem hätte sie vom Gericht angehört werden müssen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II. Das nach § 181 Abs. 1 GVG statthafte und rechtzeitig erhobene Rechtsmittel führt in der Sache nicht zum Erfolg.

Das Amtsgericht hat das Ordnungsgeld sowie die ersatzweise verhängte Ordnungshaft gem. § 178 Abs. 1 GVG sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht festgesetzt. Die Beschwerdeführerin hat sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig gemacht.

1. Ungebühr vor Gericht umfasst alle Verhaltensweisen, die den ordnungsgemäßen Ablauf der Sitzung gefährden oder beeinträchtigen und die Würde des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten angreifen oder missachten. Die Ordnungsmittel des § 178 GVG können insbesondere als Antwort auf grobe Verletzungen und bewusste Provokationen eingesetzt werden (KK-Diemer, StPO, 6. Aufl., 2008, § 178 GVG, Rdnr. 1, 2).

Die Beschwerdeführerin hat, indem sie während der laufenden Hauptverhandlung mehrfach mit den Händen gegen das Fenster des Sitzungssaals schlug, störenden Lärm und Aufsehen erregt und damit unter Missachtung der Würde des Gerichts den Ablauf der Sitzung beeinträchtigt.

2. Die Ungebühr hat sich auch "in der Sitzung" im Sinne des § 178 Abs. 1 S. 1 GVG zugetragen.

Die "Sitzung" - auf die sich die polizeilichen Befugnisse des Vorsitzenden (§ 176 GVG) zeitlich wie räumlich beschränken - erstreckt sich in örtlicher Hinsicht neben dem Sitzungssaal auch auf die unmittelbar angrenzenden Räume, von denen Störungen ausgehen können (KK-Diemer, aaO., § 176 GVG, Rdnr. 2). Außerhalb dieses Bereiches, z.B. im Treppenhaus, in der Eingangshalle des Gerichts oder außerhalb des Gebäudes auf der Straße obliegt die Abwehr von Störern dem Inhaber des Hausrechts. Bei Störungen der Hauptverhandlung, die lediglich in Sicht- und Hörweite des Gerichtsgebäudes stattfinden, einzugreifen ist Sache der Polizei (Löwe-Rosenberg-Wickern, StPO, 26. Aufl., 2010, § 176 GVG, Rdnr. 6).

Die Beschwerdeführerin hat sich auf dem Fenstersims stehend zwar räumlich außerhalb des Gerichtsgebäudes aufgehalten. Dabei hat sie jedoch unmittelbar in das Innere des Sitzungssaals eingewirkt. Sie war für die dortigen Beteiligten durch das Fenster optisch wie akustisch wahrnehmbar, und zwar in einer ähnlichen Art, als hätte sie sich im Sitzungssaal...

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