Entscheidungsstichwort (Thema)

Negativer Kompetenzkonflikt und kartellrechtliche Zuständigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Zuständigkeit nach §§ 89, 95 GWB i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Niedersächsische Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung (ZustVO-Justiz) handelt es sich um eine besondere Form der sachlichen Zuständigkeit; dies gilt allgemein für Vorschriften, welche die Zuständigkeit eines Gerichts für die Bezirke mehrerer Gerichte nach sachlich-funktionellen Abgrenzungskriterien bestimmen.

2. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO geht nur soweit, wie das verweisende Gericht binden wollte und soweit es die Zuständigkeit erkennbar geprüft hat; entscheidend ist, dass sich das verweisende Gericht mit der betreffenden Zuständigkeitsfrage bereits befasst hat.

3. § 36 Abs. 2 ZPO ist so zu verstehen, dass dasjenige OLG zuständig ist, zu dessen Bezirk das von den am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichten zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 281 Abs. 2 S. 4; GWB §§ 87, 89, 95; JusGerZustV ND 2010 § 7 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Hannover

 

Tenor

Zum zuständigen Gericht wird das LG Hannover bestimmt.

 

Gründe

I. Die Klägerinnen verlangen von der Beklagten Schadensersatz. Mit ihrer zunächst vor dem LG Stuttgart erhobenen Klage behaupten sie, die Beklagte hätte im Zusammenhang mit deren Versuch, im Jahre 2008 die V. AG zu übernehmen, unrichtige Presseerklärungen abgegeben und den Kapitalmarkt absichtlich in die Irre geführt, um vorsätzlich eine Preissteigerung der V.-Stammaktien herbeizuführen, was auch gelungen sei. Den Klägerinnen seien dadurch erhebliche Schäden entstanden, weil sie als Investmentfonds in der Erwartung sinkender Kurse zuvor Leerverkäufe getätigt hätten.

Nach vorheriger Gewährung rechtlichen Gehörs hat das LG Stuttgart mit Beschluss vom 29.2.2012 (Bl. 146 - 150 d.A.) sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Braunschweig verwiesen mit der Begründung, dass dessen ausschließliche örtliche Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründet sei.

Die Klägerinnen haben sich nach der Verweisung neben den bis dahin geltend gemachten Anspruchsgrundlagen auch auf den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und den Verstoß gegen das Kartellverbot berufen (§§ 19, 20, 33 GWB, Art. 101 f. AEUV; Seite 124 - 134 des Schriftsatzes vom 30.11.2012 = Bl. 404 - 414 d.A.; Schriftsatz vom 5.6.2013, Seite 3 = Bl. 668 d.A.). Der Vorsitzende der 5. Zivilkammer des LG Braunschweig wies sodann am 8.4.2013 die Prozessbevollmächtigten jeweils telefonisch auf die Zuständigkeitsvorschriften der §§ 87, 89 GWB hin (Bl. 647 d.A.). Die Klägerinnen haben daraufhin mit Schriftsatz vom 15.4.2013 (Bl. 651 d.A.) beantragt, den Rechtsstreit an die Kartellkammer des LG Frankfurt a.M., hilfsweise an die Kartellkammer des LG Hannover und wiederum hilfsweise an die für Kartellsachen zuständige Kammer zu verweisen. Die Beklagte ist dem Antrag mit Schriftsatz vom 12.6.2013 (Bl. 674 ff. d.A.) entgegen getreten.

Durch Beschluss vom 19.6.2013 (Bl. 683 - 699 d.A.) hat das LG Braunschweig den Rechtsstreit auf den ersten Hilfsantrag der Klägerinnen an die Kartellkammer des für Kartellsachen zuständigen LG Hannover verwiesen.

Das LG Hannover hat nach mit Beschluss vom 1.8.2013 (Bl. 725 f. d.A.) erteiltem Hinweises durch weiteren Beschluss vom 27.9.2013 (Bl. 783 - 798 d.A.) die Übernahme der Sache abgelehnt, sich selbst für unzuständig erklärt und die Sache dem OLG Braunschweig zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschlüsse des LG Stuttgart vom 29.2.2012 (Bl. 146 - 150 d.A.), des LG Braunschweig vom 19.6.2013 (Bl. 683 - 699 d.A.) und des LG Hannover vom 27.9.2013 (Bl. 783 - 798 d.A.) Bezug genommen.

II.1. Der Zuständigkeitsstreit zwischen dem zum Oberlandesgerichtsbezirk Celle gehörenden LG Hannover und dem zum Bezirk des OLG Braunschweig gehörenden LG Braunschweig ist nach § 36 Abs. 2 ZPO durch das OLG Braunschweig zu entscheiden, weil von den am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichten zuerst das LG Braunschweig mit der Sache befasst war. Zwar war die Klage zunächst beim LG Stuttgart anhängig. Eine Zuständigkeit des OLG Stuttgart für die Bestimmung des zuständigen Gerichts ergibt sich hieraus jedoch nicht, da sowohl das LG Braunschweig als auch das LG Hannover, was die Verweisung des LG Stuttgart an das LG Braunschweig zumindest unter rein örtlichen Gesichtspunkten betrifft, für jedenfalls insoweit als bindend erachten; das LG Stuttgart ist mithin am Zuständigkeitsstreit nicht beteiligt. Der Begriff "gemeinschaftliche" Gericht in § 36 Abs. 2 ZPO ist i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dahingehend zu verstehen, dass diese "Gemeinschaft" nur aus den am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichten besteht. Denn § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO setzt voraus, dass sich verschiedene Gerichte jeweils einander widersprechend für unzuständig erklärt habe...

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