Leitsatz (amtlich)

Eine Pflichtverteidigerbestellung ist für den Angeschuldigten mangels Beschwer grundsätzlich nicht anfechtbar. Dies gilt aber nicht, wenn das Gericht bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht sowie das sich aus § 142 Abs. S. 2 StPO grundsätzliche Bestimmungsrecht des Angeschuldigten, das Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren ist, nicht beachtet hat.

Ist die Anhörung (§ 142 Abs. 1 S. 1 StPO) des Angeschuldigten vor der Beiordnung eines Pflichtverteidigers unzulässig unterblieben, muss die Beiordnung nach § 143 StPO zurückgenommen werden, wenn sich für den Angeschuldigten ein Wahlverteidiger meldet, und zwar auch dann, wenn er seinerseits die Beiordnung beantragt.

Durch Verhinderung des Verteidigers bedingte Verfahrensverzögerungen sind wegen des Anspruchs des Angeschuldigten auf beschleunigte Aburteilung nicht unbegrenzt hinnehmbar. Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es jedoch auch, dem Wunsch eines Angeschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers seines Vertrauens innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach Möglichkeit Rechnung zu tragen; und zwar insbesondere dann, wenn sich das Verfahren nur gegen den Angeschuldigten richtet und auf die Interessen anderer Angeschuldigter keine Rücksicht genommen werden muss.

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Entscheidung vom 19.12.2012)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 19. Dezember 2012 aufgehoben,

Dem Angeschuldigten wird Rechtsanwalt Alexander Funck aus Berlin als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Beiordnung der Rechtsanwältin L. aus Braunschweig wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Wolfenbüttel hat dem Angeschuldigten, der sich seit 31. August 2012 in Untersuchungshaft befindet, mit Beschluss vom eben Tag zunächst Rechtsanwalt W. aus Wolfenbüttel als Pflichtverteidiger beigeordnet. Auf Antrag des Angeschuldigten vom 16. November 2012 ist Rechtsanwalt W. mit Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 28. November 2012 entpflichtet worden; zugleich ist ihm Rechtsanwalt Jan-Robert Funck aus Braunschweig als neuer Verteidiger beigeordnet worden. Durch den angefochtenen Beschluss hat der Vorsitzende der 4. Strafkammer des Landgerichts Braunschweig nunmehr die Beiordnung von Rechtsanwalt Jan-Robert Funck aufgehoben und Rechtsanwältin L. beigeordnet. Hiergegen richtet sich die am 24. Dezember 2912 eingegangene Beschwerde des Angeschuldigtem, mit der er die Beiordnung von Rechtsanwalt Alexander Funck begehrt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.

II.

Die gemäß .§ 304 StPO statthafte Beschwerde gegen die Entscheidung des Straf- kammervorsitzenden ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Beiordnung von Rechtsanwalt Alexander Funck. Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 28. Dezember 2012 hierzu ausgeführt:

"Die Beschwerde des Angeschuldigten vom 23.12.2012 (Bd. 1 BI. 164-166), eingegangen am 24.12.2012 (Bd. II BI. 164), gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 19.12.2012 (Bd. II BL 151, 152) ist gem. § 304 Abs. 1 StPO statthaft. Sie ist insbesondere nicht wegen § 305 S. 1 StPO unstatthaft. § 305 5. 1 StPO bezieht sich nur auf solche Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen, ausschließlich ihrer Vorbereitung dienen und bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Überprüfung des Gerichts unterliegen, wozu die Bestellung und Entpflichtung eines Verteidigers nicht gehören, weil eine nachträgliche Berichtigung einer möglicherweise fehlerhaften Entscheidung hinsichtlich der Beiordnung bei Urteilsfällung nichts mehr bewirken und eine Überprüfung erst in der Revisionsinstanz die Verteidigungsmöglichkeiten in unzulässiger Weise beschränken würde (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 03.12.2008, 4 Ws 119/08, [...]).

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, und zwar auch soweit sie gegen die Bestellung von Rechtsanwältin L. zur Pflichtverteidigerin gerichtet ist. Zwar ist eine Pflichtverteidigerbestellung für den Angeschuldigten mangels Beschwer grundsätzlich nicht anfechtbar. Dies gilt aber nicht, wenn das Gericht - wie hier - bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht sowie das sich aus § 142 Abs. S. 2 StPO grundsätzliche Bestimmungsrecht des Angeschuldigten, das Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren ist, nicht beachtet hat (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 16.04.2010, 4 Ws 163/10).

Die Beschwerde dürfte auch in der Sache Erfolg haben.

Zwar hat das Landgericht den bisherigen Pflichtverteidiger des Angeschuldigten, Rechtsanwalt Jan Robert Funck, unter Berücksichtigung des Interesses des Angeschuldigten, vom Verteidiger seiner Wahl vertreten zu werden einerseits und dem Interesse an einem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf unter besonderer Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen andererseits zu...

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