Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzungsbeschluss unter Bezugnahme auf EuGH-Vorlage eines fremden Verfahrens: Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde und beschränkter Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO in entsprechender Anwendung ausgesetzt, um das Ergebnis einer in einem fremden Verfahren eingeleiteten EuGH-Vorlage abzuwarten, so ist diese Aussetzungsentscheidung gemäß § 252 ZPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

2. In einem solchen Falle ist der Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts ob der originären Sachentscheidungskompetenz des Instanzgerichts beschränkt. Er erstreckt sich grundsätzlich lediglich auf die formelle Entscheidungserheblichkeit des fremden Vorlageverfahrens für das ausgesetzte Verfahren sowie die Prüfung von Ermessensfehlern.

 

Normenkette

AEUV Art. 267; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; ZPO §§ 148, 252, 348a Abs. 3, § 458a Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 567 Abs. 1 Nr. 1, § 568 S. 2 Nr. 2

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Aussetzungsbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 15. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Mit Klageschrift vom 7. Januar 2021 nimmt die Klägerin die Beklagte auf Rückabwicklung eines mit einem Kraftfahrzeugkaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrages nach Widerruf in Anspruch.

Die Klägerin als Darlehensnehmerin schloss - vermittelt durch ein Autohaus - mit der Beklagten als Darlehensgeberin am 1. Oktober 2015 einen Verbraucherdarlehensvertrag mit einer Laufzeit von 24 Monaten über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von 5.503,35 Euro. Das Darlehen diente der Teil-Finanzierung des Kaufs eines privat genutzten gebrauchten VW Polo zu einem Kaufpreis in Höhe von 12.280,00 Euro sowie der Finanzierung des Beitrages für eine Restschuldversicherung. Den von dem Autohaus zur Verfügung gestellten Vertragsunterlagen waren eine Widerrufsinformation sowie die Darlehensbedingungen der Beklagten beigefügt, wobei wegen der Einzelheiten auf den Darlehensantrag vom 1. Oktober 2015 (Anlage K1) Bezug genommen wird. Die Beklagte kehrte die Darlehensvaluta an das verkaufende Autohaus aus. Die Klägerin erbrachte an dieses vereinbarungsgemäß eine Anzahlung in Höhe von 7.000,00 Euro und leistete in der Folge die vereinbarten Zins- und Tilgungsraten an die Beklagte. Nach vollständiger Erfüllung des Darlehensvertrages im Oktober 2017 übertrug die Beklagte das Sicherungseigentum an dem zu finanzierenden Fahrzeug auf die Klägerin.

Mit Schreiben vom 19. Mai 2020 widerrief diese ihre auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung. Sie vertritt die Ansicht, dass ihr bei Abschluss des Darlehensvertrages nicht sämtliche Pflichtangaben ordnungsgemäß mitgeteilt worden seien, sodass die Widerrufsfrist nicht in Lauf gesetzt worden sei.

Die Beklagte meint demgegenüber, dass die Klägerin im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben über ihr Widerrufsrecht belehrt worden sei. Ein etwaiges Widerrufsrecht der Klägerin sei jedenfalls verwirkt.

Durch Beschluss vom 29. Oktober 2021 hat der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass nach derzeitiger Einschätzung der Kammer fraglich sein dürfte, ob nach der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 9. September 2021 - verbundene Rechtssachen C-33/20, C-155/20 und C-187/20 - die Annahme ausgeschlossen sei, dass die Ausübung des Widerrufsrechts eines Verbrauchers gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 (hier: § 495 Abs. 1, § 355 BGB) durch innerstaatliches Recht (hier: § 242 BGB) beschränkt werden könne, welches - aufgrund einer umfassenden Bewertung der Umstände des Einzelfalles festgestelltes - rechtsmissbräuchliches Verhalten einer Partei (so auch eine unzulässige Rechtsausübung wegen illoyal verspäteter Geltendmachung eines Rechts) verbiete.

Zwar sei nach der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen, dass es dem Kreditgeber verwehrt sei, sich gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts auf den Einwand der Verwirkung zu berufen, wenn eine der in Art. 14 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben nicht richtig mitgeteilt worden sei, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis gehabt habe, ohne dass er diese Unkenntnis zu vertreten habe (EuGH, a.a.O., Rn. 113 ff.). Allerdings könnte - was die denkbare Eindeutigkeit der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union in Zweifel ziehe - zu berücksichtigen sein, dass die dem Gerichtshof vorgelegten Ausgangsverfahren keine Feststellungen enthielten, die - nämlich mangels Umstandsmoments - den Tatbestand der Verwirkung im Sinne der Rechtsprechung (auch) des Bundesgerichtshofes (unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15 -, Rn. 37 ff., juris) erfüllten. In den Entscheidungsgründen des Urteils werde unter "rechtlicher Rahmen" und "Deutsches Recht" die Norm des § 242 BGB nicht genannt.

Außerdem - dies entspreche sowohl der Rechtsprechung des...

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