Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteil. Verwerfung. Verwerfungsbeschluss. Revision. Revisionsbegründungsfrist. Sachrüge. Entschuldigung. Vertretungsvollmacht. Irrtum. Form. Formfehler. Entscheidungsreife. Hauptverhandlung. Verwerfungsurteil. Rechtsmittel. Berufung. Revisionsantrag. Revisionsbegründung. Revisionsverwerfung. Abwesenheit. Ausschöpfung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verwerfung der Revision nach § 346 Abs. 1 kommt erst nach Ablauf der Frist zur Anbringung der Revisionsanträge und der Revisionsbegründung in Betracht, weil erst dann fest steht, welche auf die Einhaltung der Form- und Fristerfordernisse zu überprüfende Rechtsmittelerklärungen des zur Fristausschöpfung berechtigten Beschwerdeführers abgegeben worden sind. Wird die Revision gleichwohl verfrüht verworfen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Angeklagter seine Revision trotzdem in noch offener Frist begründet, wodurch seine Rechte unzulässig verkürzt werden (u.a. Anschluss an OLG Jena, Beschluss vom 1. Oktober 2008, 1 Ss 196/08, VRS 115 [2008], 427 und OLG Hamm, Beschluss vom 6. April 1995, 4 Ss OWi 341/95, VRS 89 [1995], 377).

2. Ist die "verfrühte" Verwerfung nach § 346 Abs. 1 StPO dem Revisionsführer noch während des Laufs der Frist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO bekannt gemacht worden, ist sie - obwohl wirksam - auf seinen Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO hin aufzuheben und die Sache vom Revisionsgericht mangels Entscheidungsreife an den Tatrichter zurückzugeben. Der Mangel der Verwerfungsentscheidung führt in diesem Falle dazu, dass die Revisionsbegründungsfrist erst mit der Zustellung des Aufhebungsbeschlusses des Revisionsgerichts an den Angeklagten in Lauf gesetzt wird (u.a. Anschluss an BayObLGSt 1993, 204; 2000, 117; OLG Naumburg Beschluss vom 21. Mai 2007, 1 Ss [Bz] 91/07 [bei juris]; OLG Jena, Beschluss vom 1. Oktober 2008, 1 Ss 196/08, VRS 115 [2008], 427; OLG Oldenburg, Beschluss vom 1. Dezember 2014, 2 Ss OWi 310/14, VRS 127 [2014], 239; OLG Hamm, Beschluss vom 6. April 1995, 4 Ss OWi 341/95, VRS 89 [1995], 377).

 

Normenkette

StPO § 345 Abs. 1, § 346 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Das AG verurteilte den Angekl. am 15.05.2017 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Mit am selben Tage beim AG eingegangenem Schreiben vom 18.05.2017 teilte der Angekl. mit, dass das Urteil "massivst angefochten" werde, dass er sich aber bis nach Erhalt des Urteils noch vorbehalte, "welche Form der Einlegung" er wähle. Nach am 16.05.2017 erfolgter Fertigstellung des Protokolls über die in Anwesenheit des Angekl. durchgeführte Hauptverhandlung vom 15.05.2017 wurde dem Angekl. das Urteil des AG vom 15.05.2017 am 26.05.2017 förmlich zugestellt. Mit am 02.06.2017 beim AG eingegangenem Schreiben vom 01.06.2017 brachte der Angekl. zum Ausdruck, dass er "Revision" gegen das Urteil vom 15.05.2017 einlege, und machte im Wesentlichen geltend, dass er sich mit der inkriminierten Äußerung nicht strafbar gemacht habe. Das AG sah das Rechtsmittel als Revision an und verwarf diese mit Beschluss vom 20.07.2017, dem Angekl. förmlich zugestellt am 25.07.2017, als unzulässig, weil die Revision entgegen § 345 II StPO nicht formgerecht begründet worden sei. Mit Beschluss vom 08.09.2017 (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 08.09.2017 - 2 OLG 6 Ss 99/17 = NStZ-RR 2018, 56) hob der Senat den Beschluss des AG vom 20.07.2017 auf und sprach aus, dass das am 18.05.2017 eingegangene Rechtsmittel des Angekl. gegen das Urteil vom 15.05.2017 als Berufung zu behandeln sei. Mit dem Angekl. am 07.02.2018 zugestelltem Urteil vom 05.02.2018 verwarf das LG die Berufung des Angekl. gem. § 329 I 1 StPO. Mit am 07.02.2018 beim LG eingegangenem Schreiben teilte der Angekl. mit, dass das Urteil vom 05.02.2018 "angefochten" und "schärfstens zurückgewiesen" werde. Durch Beschluss vom 08.03.2018 verwarf das LG die Revision des Angekl. als unzulässig, da die Revisionsanträge nicht in der nach § 345 II StPO vorgeschriebenen Form angebracht worden seien. Mit am 10.03.2018 beim LG eingegangenem Schreiben wandte sich der Angekl. gegen den ihm am 10.03.2018 zugestellten Verwerfungsbeschluss vom 08.03.2018 und führte darin aus, dass dieser "abermals massiv zurückgewiesen" werde. In einem weiteren, am 12.03.2018 beim LG eingegangenen Schreiben wandte sich der Angekl. erneut gegen den Verwerfungsbeschluss vom 08.03.2018 und machte dessen Rechtswidrigkeit geltend. Das Rechtsmittel des Angeklagten führte zur Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses vom 08.03.2018.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Vorbringen des Angekl. in seinen am 10.03.2018 bzw. 12.03.2018 eingegangenen Schreiben stellt sich [...] als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 II 1 StPO dar. Der zulässige und insbesondere auch fristgerecht eingelegte Antrag hat in der Sache auch Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des LG vom 08.03.2018.

1. Das LG hat die Revision des Angekl. gegen das Urteil vom 05.02.2018 zu Unrecht als unzulässig verworfen, denn die auf § 346 I StPO gestützte Verwerfungsentscheidung, die dem Angekl. am 10.03...

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