Rz. 111

Die Möglichkeit einer einvernehmlichen Scheidung (§ 55a EheG) gibt es in Österreich seit 1978. In der Praxis ist die einvernehmliche Scheidung der weitaus bedeutsamste Scheidungsgrund; ca. 90 % aller Scheidungen erfolgen einvernehmlich.[175] Die einvernehmliche Scheidung bietet gegenüber der streitigen einige Vorteile: Sie verursacht weniger Kosten, das Verfahren dauert wesentlich kürzer und es unterbleibt eine genaue Erörterung des Ehelebens.

 

Rz. 112

Die einvernehmliche Ehescheidung kann begehrt werden, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

1. Die eheliche Lebensgemeinschaft der Ehegatten muss seit mindestens einem halben Jahr aufgehoben sein. Eine Ehe, die nicht mindestens sechs Monate gedauert hat, kann daher niemals einvernehmlich geschieden werden. Die eheliche Lebensgemeinschaft gilt als aufgehoben, wenn die Ehegatten die Pflichten, die ihnen das Gesetz in § 90 ABGB (siehe Rdn 54 ff.) auferlegt, nicht mehr erfüllen. Eine räumliche Trennung der Ehegatten ist jedoch nicht erforderlich; die eheliche Lebensgemeinschaft ist auch dann aufgehoben, wenn die Ehegatten in häuslicher Gemeinschaft leben, ihre geistige und körperliche Gemeinschaft aber aufgehört hat zu bestehen.[176]
2. Die Ehegatten müssen die unheilbare Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses zugestehen.
3. Zwischen den Ehegatten muss Einvernehmen über die Scheidung bestehen; das hat in einem gemeinsamen Scheidungsbegehren zum Ausdruck zu kommen, wobei die Zustimmung des einen Gatten zum Antrag des anderen als ausreichend angesehen wird.
4.

Die Ehegatten haben vor Gericht eine schriftliche Vereinbarung über die Scheidungsfolgen zu schließen. In dieser Vereinbarung müssen geregelt sein:

die Betreuung der gemeinsamen minderjährigen Kinder oder die Obsorge sowie die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte (zur Beratungspflicht über die aus der Scheidung resultierenden Bedürfnisse der Kinder siehe Rdn 131);
die Unterhaltspflicht hinsichtlich ihrer gemeinsamen Kinder;
der nacheheliche Unterhalt zwischen den Ehegatten;
die vermögensrechtlichen Ansprüche zwischen den Gatten.[177]
 

Rz. 113

Die Scheidungsfolgenvereinbarung wird vom Gericht inhaltlich nicht geprüft; der Richter hat aber nach h.A.[178] eine offenkundige Gesetz- oder Sittenwidrigkeit wahrzunehmen und eine solche Vereinbarung als Grundlage einer einvernehmlichen Scheidung abzulehnen. Die Vereinbarung über die Scheidungsfolgen kann i.Ü. entsprechend den allgemeinen Regeln etwa wegen Geschäftsunfähigkeit oder Sittenwidrigkeit nichtig bzw. wegen List oder Irrtum anfechtbar sein.[179] Die Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses wird von der Unwirksamkeit der Vereinbarung jedoch nicht berührt.[180]

[175] Im Jahr 2018 erfolgten 86,3 % aller Ehescheidungen in beiderseitigem Einvernehmen (§ 55a EheG): Statistik Austria – Ehescheidungen, https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/ehescheidungen/index.html (abgefragt im Juli 2020).
[176] AB 916 BlgNR 14. GP 8; LGZ Wien 44 R 38/79, EFSlg 34.016; LGZ Wien 43 R 451/83, EFSlg 43.664; LGZ Wien 44 R 103/84, EFSlg 46.214.
[177] Damit ist eine Vereinbarung über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse (§§ 81 ff. EheG) gemeint. Siehe zur Aufteilung allgemein Rdn 149 ff.
[178] Nachweise bei Hopf/Kathrein, Eherecht, § 55a EheG Rn 11.
[179] Vgl. Welser/Kletečka, I, Rn 1583 m.N. zur Judikatur.
[180] OGH 1 Ob 532/85, SZ 58/43; OGH 6 Ob 568, 569/94, EFSlg 75.371/3; OGH 6 Ob 180/97g; OGH 2 Ob 70/09x, MietSlg 61.529; RIS-Justiz RS0057101.

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