Rz. 101

Schwere Eheverfehlungen des einen Gatten berechtigen den anderen, die Scheidung der Ehe zu verlangen, wenn sie zur tiefen unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt haben. Eine schwere Eheverfehlung liegt insbesondere vor, wenn ein Ehegatte die Ehe gebrochen oder dem anderen körperliche Gewalt oder schweres seelisches Leid zugefügt hat (§ 49 EheG).[160] Eine unheilbare Zerrüttung ist anzunehmen, wenn die geistige, seelische oder körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten subjektiv zu bestehen aufgehört hat.[161] Erhebt ein Ehegatte die Klage, so liegt nach der Rechtsprechung i.d.R. bei diesem subjektive Zerrüttung vor.[162] Eheverfehlungen, die nach dem Eintritt der Zerrüttung gesetzt werden, spielen mangels Kausalität für das Scheitern der Ehe i.d.R. keine entscheidende Rolle, es sei denn, dass der verletzte Ehegatte diese Eheverfehlung noch als zerrüttend empfinden durfte oder eine Vertiefung der Zerrüttung durch die Verfehlung nicht ausgeschlossen werden kann, wie insbesondere bei Beleidigungen und Misshandlungen.[163]

 

Rz. 102

Hat nicht nur der beklagte, sondern auch der klagende Ehegatte Verfehlungen begangen und sind die Verfehlungen des Beklagten erst durch das schuldhafte Verhalten des Klagenden hervorgerufen worden, besteht sonst ein Zusammenhang zwischen den jeweiligen Verfehlungen oder wiegen die Verfehlungen des Klägers unverhältnismäßig schwerer als die des Beklagten, dann ist das Scheidungsbegehren von Amts wegen als sittlich nicht gerechtfertigt abzuweisen (Verwirkung des Scheidungsrechts; § 49 S. 3 EheG).[164]

[160] Weitere Beispiele aus der Rspr.: mangelnde Rücksichtnahme; häufiges tagelanges beharrliches Schweigen; ständiges Verbringen der Freizeit ohne den anderen Ehegatten; Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber dem anderen Ehegatten oder gegenüber den ehelichen Kindern; beharrliche und grundlose Verweigerung des Geschlechtsverkehrs bzw. zu häufige geschlechtliche Inanspruchnahme des anderen Ehegatten; hemmungsloses Eingehen von Schulden; Spielsucht; tägliches Betrunkensein; Nichtgewährung des Einblicks in die eigene Privatsphäre; religiöser Fanatismus; Abtreibung des vom Ehegatten gewünschten Kindes ohne dessen Kenntnis. Nachweise bei Deixler-Hübner, Scheidung, S. 88 ff.
[161] RIS-Justiz RS0056832.
[162] Z.B. OGH 6 Ob 28/11b, EFSlg 131.104.
[163] RIS-Justiz RS0056887; vgl. auch Hopf/Kathrein, Eherecht, § 49 EheG Rn 9.
[164] Siehe etwa Hopf/Kathrein, Eherecht, § 49 EheG Rn 11 ff.

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