Entscheidungsstichwort (Thema)

Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit. Rentenminderung. Vertrauensschutzregelung. Beschäftigter in der Montanindustrie. Ausscheiden durch Aufhebungsvertrag. Entscheidung durch Gerichtsbescheid. gesetzlicher Richter

 

Leitsatz (amtlich)

Versicherte, die nachweisen können, aus einem Betrieb der Montanindustrie aufgrund von Betriebs(teil)Stilllegungen ausgeschieden zu sein, fallen unter die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs 4 S 1 Nr 2 SGB 6, auch wenn sie nicht auf sog Ursprungslisten geführt worden sind.

 

Orientierungssatz

1. Es ist unschädlich, wenn im Anschluss an ein Ausscheiden aus einem Betrieb der Montanindustrie unmittelbar eine neues Arbeitsverhältnis eingegangen wird und deshalb kein Anspruch auf Beihilfe in Form von Umschulung, Entschädigung oder Ähnlichem besteht.

2. Entscheidet ein Gericht durch Gerichtsbescheid, obwohl die dafür in § 105 Abs 1 S 1 SGG vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht vorliegen, so liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des gerichtlichen Richters iS von Art 101 Abs 1 S 2 GG vor (vgl BSG vom 16.3.2006 - B 4 RA 59/04 R = SozR 4-1500 § 105 Nr 1).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.08.2009; Aktenzeichen B 13 R 111/08 R)

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Juli 2005 wird aufgehoben. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 10. Oktober 2003 verurteilt, bei der Berechnung der Altersrente den Zugangsfaktor 1,0 zugrunde zu legen.

Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger Anspruch auf Bewilligung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ohne Abschläge hat.

Der ... 1942 geborene Kläger durchlief vom 1. September 1956 bis 31. August 1959 erfolgreich eine Lehre zum Maurer. Er war dann rentenversicherungspflichtig beschäftigt, absolvierte vom 6. November 1965 bis 27. April 1967 seinen Wehrdienst und arbeitete u. a. vom 18. Juli 1967 bis 31. August 1991 als Hochofenmaurer in der Eisen- und Hüttenwerke (EHW) T AG. Vom 1. September 1991 bis 31. Juli 2000 war er schließlich als Maurer bei der T B mbH tätig.

Der Kläger beantragte am 25. März 1998 die Klärung seines Versicherungskontos. Er legte u. a. eine Bescheinigung des Leiters der Personalwirtschaft der Eisen- und Hüttenwerke T AG, unterzeichnet von dem Zeugen D, vom 5. November 1998 vor, wonach er - der Kläger - vom 18. Juli 1967 bis 31. August 1991 in der Eisen- und Hüttenwerke (EHW) T AG beschäftigt gewesen sei. Die EHW T AG sei ein Betrieb, der von einer Maßnahme im Sinne des Artikel 56 § 2 Buchst. b des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-V) betroffen gewesen sei. Die Maßnahme für diesen Betrieb sei am 31. Mai 1991 genehmigt worden.

Unter dem 28. Juni 2000 erteilte die Beklagte einen Vormerkungsbescheid gemäß § 149 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) und stellte die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten bis zum 31. Dezember 1993 für die Beteiligten verbindlich fest. In der beigefügten Rentenauskunft gleichen Datums ist auf Seite 4 ausgeführt, dass eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit ohne Rentenabschlag bei einem Rentenbeginn ab dem 1. September 2007 und mit Rentenabschlag frühestens ab dem 1. September 2002 in Anspruch genommen werden könne; die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente zu diesem Zeitpunkt würde zu einer Minderung der Rente um 18 Prozent führen. Ob die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelungen vorlägen, habe nicht geprüft werden können.

Nachdem der Kläger hiergegen Widerspruch eingelegt und sich u. a. darauf gestützt hatte, es gelte für ihn die Vertrauensschutzregelung für Beschäftigte, die aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden seien, holte die Beklagte eine formularmäßige Auskunft der Rechtsnachfolgerin der T Baugesellschaft mbH, der S GmbH in T, vom 22. September 2000 ein. In der formularmäßig vorbereiteten Auskunft waren zwei alternative Antworten möglich:

"1. Die/der umseitig genannte Versicherte gehört zum beihilfeberechtigten Personen kreis und wird unter der Referenznummer ... geführt. Die entsprechende Maßnahme wurde am ... genehmigt.

2. Die/der umseitig benannte Versicherte gehört nicht zum beihilfeberechtigten Personenkreis."

Die letztgenannte Alternative wurde von der S GmbH angekreuzt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück. Ein Widerspruch sei nur gegen einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 des Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) zulässig. Die erteilte Rentenauskunft vom 28. Juni 2000 sei eine Information des Rentenversicherungsträgers gegenüber dem Versicherten ohne unmittelbaren rechtlichen Regelungscharakter. Die hiergegen beim Sozialgericht Magdeburg (Az.: S 39 RJ 135/01) erhobene Klage nahm der Kläge...

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