Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Vertrieb eines Arzneimittels als "Me-Too-Präparat". Arzneimittelhersteller. Geltendmachung von Umsatzeinbußen. Begriff. Me-Too-Präparat. Kassenärztliche Vereinigung. keine Verordnungsverpflichtung für Vertragsärzte

 

Orientierungssatz

1. Macht die Marketingorganisation eines Arzneimittelherstellers im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes Umsatzeinbußen beim Vertrieb eines Arzneimittels geltend, so ist im Rahmen der einstweiligen Anordnung auf die wirtschaftliche Betroffenheit des gesamten Unternehmens und nicht nur der Marketingorganisation abzustellen.

2. Me-Too-Präparate (Analogpräparate) sind Fertigarzneimittel, die im Vergleich zu bereits eingeführten Arzneistoffen patentgeschützte, pharmakologisch vergleichbare Wirkstoffe enthalten. Bei einem errechneten Umsatzrückgang von weniger als 1 % des Gesamtkonzernumsatzes fehlt es am erforderlichen Anordnungsgrund. Ein Abwarten bis zur Hauptsachenentscheidung in der Hauptsache ist daher zumutbar.

3. Ein besonderes Anliegen des Gesetzgebers im Krankenversichertenbereich besteht darin, die Arzneimittelausgaben zu steuern. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ist deshalb verpflichtet, auf sich abzeichnende Überschreitungen des vereinbarten Ausgabenvolumens sofort zu reagieren. Die KV kann aber nicht verpflichtet werden, Ärzte unter Androhung eines Honorarabzugs aufzufordern, ein bestimmtes Arzneimittel nur noch im Rahmen einer Me-Too-Quote zu verordnen. Insoweit fehlt es am notwendigen Anordnungsanspruch.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.07.2006 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahren sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin trägt die Antragstellerin. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1,2 Mio. EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob die Antragsgegnerin das von der Antragstellerin vertriebene Medikament Granocyte als sog. "Me-Too-Präparat" bezeichnen, auf einer im Internet zugänglichen Liste führen und die Vertragsärzte unter Androhung eines Honorarabzugs dazu auffordern darf, dieses Präparat nur noch im Rahmen einer bestimmten Quote zu verordnen.

Die Antragstellerin vertreibt das seit 1985 patentgeschützte Präparat Granocyte mit dem Wirkstoff Lenograstim (rHuG-CSF). Der Patentschutz läuft am 28.07.2008 ab. Das Präparat dient vornehmlich dazu, die Dauer von Neutropenien bei Patienten mit nicht-myeloischen malignen Erkrankungen zu verkürzen. Mit gleicher Indikation werden auf dem deutschen Markt die Präparate Neupogen (Wirkstoff: Filgrastim)und Neulasta (Wirkstoff: Perfilgrastim) der Fa. Amgen seit 1991 bzw. 1994 vertrieben.

Der Begriff Me-Too-Präparat (Synonyme: Analogpräparat bzw. Scheininnovation) wird seit ca. 1982 zur Bewertung von Arzneimitteln verwandt, die zwar einen neuen Wirkstoff enthalten, dieser jedoch dem Wirkstoff bereits zugelassener Medikamente sehr ähnlich ist. Zur Bewertung des Innovationsgrades von Arzneimitteln ist das folgende, seit 1982 unveränderte Klassifikationsschema entwickelt worden:

A. Neuartige Wirkstoffe oder neuartige Wirkprinzipien mit therapeutischer Relevanz;

B. Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Qualitäten bereits bekannter Wirkprinzipien;

C. Analogpräparate mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten;

D. Eingeschränkter therapeutischer Wert bzw. nicht ausreichend gesicherte Therapieprinzipien.

Der in dem Präparat Granocyte enthaltene Wirkstoff Lenograstim (rHuG-CSF) wird mittels rekombinanter DNA-Technologien in Ovarialzellen des chinesischen Hamsters produziert. Die Wirkstoffe Filgrastim bzw. Perfilgrastim der Präparate Neupogen und Neulasta werden mittels r-DNA-Technologie aus E.coli (K 12) hergestellt. Der Wirkstoff Lenograstim des Präparats Granocyte ist der Kategorie C des Klassifikationsschemas zugeordnet.

Am 21.11.2005 schloss die Antragsgegnerin mit den Krankenkassen eine "Vereinbarung über das Arznei- und Verbandmittelausgabenvolumen für das Kalenderjahr 2006" (Rheinisches Ärzteblatt 1/2006, 82 ff). Hiernach wurde das Ausgabenvolumen auf 2,68 Mrd. EUR festgelegt (§ 2). Eine flankierende Zielvereinbarung sieht die Erhöhung des durch den jeweiligen Vertragsarzt verursachten arztgruppenbezogenen Versorgungsanteils des Brutto-Generikaumsatzes am generikafähigen Markt um 5 Prozentpunkte und die Reduzierung des durch den jeweiligen Vertragsarzt verursachten arztgruppenbezogenen Versorgungsanteils der Me-Too-Präparate ohne relevanten höheren therapeutischen Nutzen, aber mit höheren Kosten, am Gesamtmarkt um wiederum 5 Prozentpunkte vor (§ 4). Für die Arztgruppe der Internisten wird ein Zielwert von 78,4 % bei den Generika (§ 4 Abs. 1) und von 7,7 % bei den Me-Too-Präparaten (§ 4 Abs. 2) bestimmt. Ergänzend regelt § 7 Maßnahmen für den Fall, dass das vereinbarte Ausgabenvolumen und/oder die Vorgaben der Zielvereinbarung überschritten werden:

1. Eine individuelle Verantwortlichkeit des einzelnen Vertr...

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