Entscheidungsstichwort (Thema)

Besetzung des Gerichts. Aufsichtsmaßnahme gegen K(Z)ÄVen. Bestellung eines Beauftragten (sogenannter Staatskommissar) wegen Gefährdung der Funktionsfähigkeit. kein Vorverfahren. Nichtbestehen eines gebührenvertragslosen Zustandes. Behandlungsverpflichtung gegenüber Versicherten. Verfassungsmäßigkeit des § 79a SGB 5

 

Orientierungssatz

1. Bei einem Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit von Aufsichtsmitteln nach § 79a SGB 5 entscheidet das Gericht in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Vertragszahnärzte.

2. Die Regelung des § 79a Abs 2 S 2 SGB 5 sollte nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers einzig der Verfahrensbeschleunigung dienen. Dieser Regelungszweck würde konterkariert, legte man § 79a Abs 2 S 2 SGB 5 so aus, dass er ein Vorverfahren - entgegen etwa § 89 SGB 4 - zwingend vorschreibt.

3. Die Einsetzung eines Beauftragten nach § 79a SGB 5 kann mithin immer nur als ultima ratio in Betracht kommen, wenn die Funktionsfähigkeit der Körperschaft als solche bedroht ist.

4. Ein Beauftragter nach § 79a SGB 5 muß anstelle der Vertreterversammlung und des Vorstandes tätig werden, wenn zu erwarten ist, dass das nicht vertretene Organ seine Arbeit blockiert.

5. Die Erklärung eines sog. "gebührenvertragslosen Zustandes" durch eine KZÄV steht offensichtlich im Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung des § 89 Abs 1 S 4 SGB 5.

6. An den rechtlichen Verpflichtungen, den Patienten gegen Krankenversicherungskarte und ohne Rechnungslegung zu behandeln, kann selbst ein sogenannter gebührenvertragsloser Zustand nichts ändern.

7. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Norm des § 79a SGB 5 bestehen nicht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.06.2001; Aktenzeichen B 6 KA 7/00 R)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Aufsichtsmitteln nach § 79 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Zwischen der Klägerin und den Landesverbänden der Krankenkassen sowie den Ersatzkassenverbänden bestand in den Jahren vor 1995 fortlaufend Uneinigkeit über die Höhe der Punktwerte für vertragszahnärztliche Leistungen. Auch für das Jahr 1995 konnte zwischen der Klägerin und den Landesverbänden der Krankenkassen keine Einigung über die Vergütungshöhe erzielt werden. Am 25. März 1995 beschloss die Vertreterversammlung (VV) der Klägerin einstimmig, dass zum 01. Juli 1995 der "gebührenvertragslose" Zustand erklärt werde, wenn bis zum 30. Juni 1995 keine Punktwerterhöhung für die Ersatz- und die Primärkassen in Niedersachsen festgesetzt werde. Zur Begründung dieses Beschlusses Nr 6 heißt es in dem Protokoll der Vertreterversammlung, das SGB V schreibe vor, dass Punktwertanpassungen zeitnah zu erfolgen hätten, wofür als letzte Frist der 31. März des laufenden Jahres gelte. Ein gebührenvertragsloser Zustand sei demnach folgerichtig.

Nach dem endgültigen Scheitern der Vergütungsverhandlungen stellten die Orts-, Betriebs-und Innungskrankenkassen am 27. März 1995, die Klägerin für den VdAK-AEV-Bereich am 10. April 1995 Anträge auf Festsetzung eines Honorarvertrages durch das Landesschiedsamt. Das beklagte Land (hier und im Folgenden: das Sozialministerium) wandte sich mit Schreiben vom 06. Juni 1995 an den Vorsitzenden des Landesschiedsamtes und ersuchte diesen unter Hinweis auf § 89 Abs 5 SGB V um umgehende Entscheidung. Der Vorsitzende des Schiedsamtes stellte in einem Schreiben vom 12. Juni 1995 aus Verfahrensgründen eine Entscheidung nicht vor Mitte Juli 1995 in Aussicht.

Die Klägerin und die Landesverbände der Krankenkassen wandten sich daraufhin im Juni 1995 an die Öffentlichkeit. Die Klägerin gab am 16. Juni 1995 eine Pressemitteilung heraus, in der sie sich auf Aussagen des 1. Vorsitzenden ihres Vorstandes berief. In dieser Pressemitteilung heißt es:

"Wegen des durch die Untätigkeit des Landesschiedsamtes Niedersachsen hervorgerufenen gebührenvertragslosen Zustandes seit dem 01. April 1995 empfehle die KZVN den Zahnärzten, ihren Patienten ab 01. Juli 1995 nicht etwa eine Privatrechnung auszustellen, sondern eine Rechnung auf der Basis der kassenüblichen Honorierung, einschließlich der den Zahnärzten per Gesetz zustehenden Steigerungsrate von 1,7%, sagte Dr S. Diese Rechnungen sollen die Patienten ihren Krankenkassen unverzüglich zur Erstattung vorlegen. Dr S betonte, die Zahnärzte hätten gar keine andere Möglichkeit der Abrechnung, weil die KZVN verpflichtet sei, für den Zeitraum des gebührenvertragslosen Zustandes keine Abrechnungen vorzunehmen..."

Am 17. Juni 1995 trat die Vertreterversammlung der Klägerin erneut zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Zu Punkt 4 der Tagesordnung erging der folgende Beschluss:

"Die Vertreterversammlung fordert die zahnärztlichen Mitglieder und deren Stellvertreter im Landesschiedsamt Niedersachsen zum Rücktritt auf.

Begründung:

Der Vorsitzende des Landesschiedsamts ist der einstimmig von der Vertreterversammlung am 11. November 1994 gefassten Rücktrittsforderung nicht nachgekommen. Die von der Vertreterversammlung am 11. November 1994 ...

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