Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Übernahme von Bestattungskosten. Verpflichteter. Bestattungspflicht der Mutter der Verstorbenen. Verweis auf eine vorrangige Verpflichtung der Kinder der Verstorbenen. Minderjährigkeit und Mittellosigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Ein die Anspruchsberechtigung nach § 74 SGB XII ausschließender Verweis auf vorrangig Verpflichtete kommt zumindest dann nicht in Betracht, wenn im Zeitpunkt, in dem der Bedarf eintritt, feststeht, dass die vorrangig Verpflichteten minderjährig und mittellos sind.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin als Mutter der Verstorbenen auf Übernahme der Bestattungskosten gemäß § 74 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) und dabei insbesondere um die Bedeutung der Rangfolge der Bestattungspflichtigen gemäß § 8 Abs. 3 des Niedersächsischen Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (NBestattG).

Die J. geborene Klägerin wohnt in Wilhelmshaven und bezog mindestens seit Juni 2015 bis Januar 2021 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Beklagte und Berufungsklägerin ist örtlicher Sozialhilfeträger. Am K. verstarb in einem Krankenhaus in Wilhelmshaven die im L. geborene Tochter der Klägerin. Diese bezog bis dahin ebenfalls existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II und war zum Zeitpunkt ihres Todes unverheiratete Mutter von vier minderjährigen Kindern, geboren in den Jahren M., die seinerzeit in Pflegefamilien lebten. Die Verstorbene hatte eine Schwester und einen Bruder. Der Vater war bereits verstorben. Die Klägerin schlug die Erbschaft am 16. August 2016 durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht aus. Zuvor hatte bereits das Jugendamt Erbausschlagungserklärungen für die drei jüngeren Kinder abgegeben. Das Nachlassgericht teilte im November 2016 mit, dass auch das älteste der vier Kinder eine Erbausschlagungserklärung abgegeben habe. Die Klägerin veranlasste für Anfang N. die Trauerfeier für ihre Tochter, die Einäscherung und anschließende Seebestattung. Die Kosten beliefen sich ausweislich der vorliegenden Rechnungen auf 2.233,41 € für des Bestattungsunternehmen Novis. Darin enthalten waren 720 € für die Kremierung, 80 € für ein Sarggesteck sowie 25 € für die Nutzung der Leichenhalle der Klinik. Die übrigen Kosten von 1.408,41 € umfassten den Aufwand für einen Kiefernsarg, Träger zur Überführung, Kühlraumbenutzung bis zur Einäscherung und die Nutzung der Andachtshalle inkl. Deko und Musikanlage.

Am 12. August 2016 stellte die Klägerin unter Hinweis auf ihre Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten gemäß § 74 SGB XII. Die Ermittlungen der Beklagten ergaben, dass kein Nachlass vorhanden war und alle bekannt gewordenen und in Frage kommenden Erben Erbausschlagungserklärungen abgegeben hatten. Mit Bescheid vom 22. Februar 2017 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Bestattungskosten ab, weil sie keine Verpflichtete sei. Sie habe zwar die Bestattung in Auftrag gegeben. Anspruchsberechtigt im Sinne des § 74 SGB XII sei aber nur die Person, die auch zur Kostentragung verpflichtet sei. Eine solche Pflicht ergebe sich im vorliegenden Fall nicht aus erbrechtlichen und unterhaltsrechtlichen Bestimmungen, könne sich aber auch aus ordnungsbehördlichen Vorschriften, z. B. aus Bestattungsgesetz, ergeben. In Niedersachsen sei die Bestattungspflicht in § 8 Abs. 3 NBestattG geregelt. Nach dortiger Reihenfolge seien die Kinder des Verstorbenen vorrangig verpflichtet. Mit am 16. März 2017 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 14. März 2017 legte die Klägerin Widerspruch ein und wies darauf hin, dass die Kinder der Verstorbenen alle nicht leistungsfähig seien und sie sich doch um die Bestattung habe kümmern müssen. Aus § 8 Abs. 4 Satz 4 NBestattG ergebe sich, dass die Verpflichtung auf den nächsten in der Reihenfolge übergehe, wenn ein Verpflichteter nicht leistungsfähig sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2017 als unbegründet zurück und vertrat darin die Auffassung, dass eine finanzielle Überforderung die primäre Verpflichtung gemäß § 8 Abs. 3 NBestattG nicht entfallen lasse. Eine Ersatzvornahme durch das Ordnungsamt sei auch nicht erfolgt. Am 24. Mai 2017 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben. Mit Gerichtsbescheid vom 25. August 2021 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Mai 2017 aufgehoben und die Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Bestattung in Höhe von 2.233,41 € „aus Mitteln der Sozialhilfe“ verurteilt. Die Klägerin sei entgegen der Auffassung der Beklagten Verpflichtete im Sinne des § 74 SGB XII, da der Rangfolge der Verpflichteten in § 8 Abs. 3 NBesta...

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