Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Familienmitversicherung in der Pflegeversicherung. Rechtsfolgen unzureichender Formulargestaltung seitens des Pflegeversicherungsträgers. Pflegeversicherung. Beitragsnachforderung. Familienversicherung. Ehegatte. Gesamteinkommen. Regelaltersrente. Kindererziehungszeiten. Verjährung. Grobe Fahrlässigkeit. Prozesszinsen

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Verjährung einer Nachforderung von Pflegeversicherungsbeiträgen beginnt mit dem Schluss des Jahrs, in dem das Pflegeversicherungsunternehmen von den den Anspruch begründenden Umständen (hier: Veränderung des Gesamteinkommens) ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntnis erlangen müssen. Das Pflegeversicherungsunternehmen handelt grob fahrlässig, wenn es das Gesamteinkommen des Versicherten nicht in jährlichem Abstand erfragt, sondern nur im Abstand von zwei Jahren.

 

Orientierungssatz

1. Nach § 23 Abs 1 S 2 SGB XI (juris: SGB 11) muss nur bei Inkrafttreten der Pflegeversicherung für den Ehepartner ein - fiktiver - Anspruch auf eine Familienversicherung i. S. d. sozialen Pflegeversicherung nach § 25 SGB XI (juris: SGB 11) bestehen.

2. Sind Formulare so gestaltet, dass für den Versicherungsnehmer einerseits und seinen Ehegatten andererseits nur anzugeben ist, ob kein Einkommen erzielt wird oder das regelmäßige Gesamteinkommen den in dem jeweiligen Jahr geltenden Betrag von 1/7 der monatlichen Bezugsgröße (angegeben in DM bzw. €) über- oder unterschritt und folgen darunter Erläuterungen zur Ermittlung des Gesamteinkommens, verletzt der Versicherer die ihm obliegende Pflicht, sich die für die Überprüfung der Beitragsbegrenzung notwendigen Informationen zu beschaffen, in mehrfacher Hinsicht (bspw. nicht jährliche Einholung der Erklärung zur Höhe des Gesamteinkommens), mit der Folge, dass ihm eine daraus resultierende Unkenntnis des Gesamteinkommens der Ehefrau des Versicherungsnehmers anzulasten ist.

 

Normenkette

SGB XI § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 23 Abs. 3-4; MB-PPV 1996 § 8 Abs. 1; BGB §§ 195, 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 3, §§ 209, 291

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 29. Juni 2010 wird geändert. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin einen Betrag von 1.063,97 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2010 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Die Klägerin hat dem Beklagten 1/4 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch darauf hat, dass der Beklagte für die Zeit vom 1. Juli 1999 bis 30. April 2009 Beiträge für seine Ehefrau in Höhe von 1.459,69 € nachentrichtet.

Die Klägerin ist eine betriebliche Sozialeinrichtung der (früheren) Deutschen Bundesbahn und hat sich zur Erfüllung der Aufgaben der privaten Pflegeversicherung der Gemeinschaft privater Versicherungsunternehmen (GPV) angeschlossen, die u. a. für Versicherungsnehmer der Klägerin Versicherungsscheine über die Pflegeversicherung ausstellt. Darüber hinaus führt die Klägerin nach einer Vereinbarung, die u. a. sie mit der GPV geschlossen hat, bei Zahlungsverzug eines Versicherungsnehmers das Mahn- und Klageverfahren selbst durch. Der Beklagte und seine Ehefrau sind bei der Klägerin u. a. pflegeversichert. Der Beklagte beantragte in einem Formular zu "Erklärungen zur Pflegepflichtversicherung" die Reduzierung des Beitrages für seinen Ehegatten auf maximal 75 % des Höchstbetrages der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Ehefrau des Beklagten bezieht seit 1. Juli 1999 eine Regelaltersrente von 1.160,15 DM (= 593,18 €). Mit Datum vom 9. Dezember 1996 gab der Beklagte an, sein Einkommen liege über 610,00 DM, das seiner Frau darunter. In einem weiteren Antrag auf Beitragsbegrenzung für Ehepaare erklärte der Beklagte mit Datum vom 10. Mai 2000, sein Einkommen betrage über 640,00 DM, das seiner Ehefrau bis 640,00 DM. In weiteren Erklärungen gab der Beklagte am 28. November 2002 an, seine Ehefrau verdiene bis 340,00 €, am 15. Dezember 2004, sie erhalte bis 345,00 € und am 7. Juni 2008, seine Ehefrau erhalte seit 1. Januar 2001 mehr als 400,00 € im Monat. Mit Schreiben vom 19. August 2008 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sich aus den Angaben des Beklagten vom 7. Juni 2008 ergebe, dass kein Anspruch auf Beitragsbegrenzung in der privaten Pflegeversicherung für seine Ehefrau bestehe. Sie forderte deshalb rückwirkend ab 1. Januar 2001 bis zum 31. August 2008 Beiträge in Höhe von insgesamt 1.148,77 € nach. Mit Schreiben vom 1. September 2008 wandte sich der Beklagte gegen diese Nachforderung unter Hinweis darauf, dass diese Berechnung falsch sei, denn der dauerhaft festgeschriebene steuerliche Ertragsanteil der Altersrente seiner Ehefrau betrage lediglich 27 %. Außerdem seien Kindererziehungszeiten für 6 Kinder in dem Betrag enthalten. Auch habe die Klägerin nicht berücksichtigt, dass in den Jahren 2005 bis 2007 Sonderzahlungen zu Weihnachten in Höhe von 167,58 bzw. 171,29 € geza...

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