Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Sozialhilfe. Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12. Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. keine Ermessensreduzierung auf Null nach mehr als sechsmonatigem Aufenthalt

 

Leitsatz (amtlich)

Der Sozialhilfeanspruch von EU-Bürgern, die durch § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II vom ALG II-Bezug ausgeschlossen werden, ist gem § 23 Abs 3 S 1 und Abs 1 S 3 SGB XII auch bei einem mehr als sechsmonatigen Aufenthalt im Bundesgebiet auf eine fehlerfreie, von den Umständen des Einzelfalles abhängige Ermessensentscheidung des Sozialhilfeträgers beschränkt. Von einer mit dem Beginn des siebten Aufenthaltsmonats einsetzenden, regelhaften Verpflichtung, im Wege der Ermessensreduzierung auf Null laufende Leistungen nach Maßgabe des Dritten Kapitels SGB XII zu gewähren, ist entgegen der Rechtsprechung des BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 43 nicht auszugehen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 7. September 2015 aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die gem. §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 7. September 2015 ist begründet.

Zu Unrecht hat das SG den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. September 2015 bis zum 29. Februar 2016 zu gewähren. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG haben nicht vorgelegen, da die Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht haben.

Die 1989 geborene Antragstellerin zu 1) ist im Jahre 2014 aus ihrem Heimatstaat J. mit ihren dort im Juli 2010 und im Juni 2013 geborenen Söhnen, den Antragstellern zu 2) und 3), in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie wohnt seitdem in K. und hat hier am 26. Juli 2015 den Antragsteller zu 4) zur Welt gebracht. Keines der Kinder besucht bisher eine allgemeinbildende Schule. Zu dem ebenfalls aus J. stammenden Ehemann der Antragstellerin zu 1) bzw. Vater der Antragsteller zu 2) bis 4) besteht bereits seit längerem kein Kontakt mehr.

Ein am 15. Januar 2015 von der Antragstellerin zu 1) begonnenes Arbeitsverhältnis als Bauhelferin bei der Fa. “L.„ kündigte der Arbeitgeber bereits zum 28. Februar 2015 wieder; laut Kündigungsschreiben vom 26. Februar 2015 (Bl. 135 d. Verwaltungsakte) aufgrund der Rücknahme eines aktuellen Bauauftrages.

Einem Anspruch der Antragsteller auf Weiterbewilligung der ihnen wegen des o.g Arbeitsverhältnisses zuletzt noch bis zum 31. August 2015 gewährten SGB II-Leistungen steht der Ausschlussgrund nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entgegen. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind nach dieser Vorschrift Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Die Antragsteller gehören zu diesem Personenkreis. Die Voraussetzungen für ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) oder ggf. dem begrenzt subsidiär anwendbaren Aufenthaltsgesetz (vgl. hierzu Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R) liegen bei ihnen nicht vor.

Da die Antragstellerin zu 1) in der Zeit ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik nicht für mehr als ein Jahr erwerbstätig gewesen ist und sich nicht bereits seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, scheidet ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU ebenso aus wie die unbefristete Fortwirkung eines Aufenthaltsrechts als Arbeitnehmerin gem. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU. Auch die Voraussetzung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts als Familienangehörige nach § 3 FreizügG/EU liegen nicht vor.

Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass unter dem rechtlichen Gesichtspunkt früherer Erwerbstätigkeit allenfalls eine Fortgeltung des Arbeitnehmerstatus___AMPX_‚_SEMIKOLONX___X im Anschluss an die o.g. Beschäftigung der Antragstellerin zu 1) als Bauhelferin bis zum 26. Februar 2015 in Betracht kommt. Ein fortgeltendes Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin hat indes gem. § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU wegen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit lediglich für sechs Monate ab dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestanden. Dementsprechend hat der Antragsgegner den Antragstellern, ohne dass dies rechtlich zu beanstanden ist, mit Bescheid vom 12. August 2015 (den seitens der Antragsteller hiergegen eingelegte Widerspruch hat der Antragsgegner bislang nicht beschieden) Leistungen über den 31. August 2015 hinaus versagt.

Entgegen den Ausführungen des SG in dessen mit der vorliegenden Beschwerde angefoc...

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