Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Berücksichtigung eines gewährten Darlehens bei den einem selbständigen Hilfebedürftigen gewährten Leistungen der Grundsicherung. Einkommen. Ernsthafter Wille zur Rückzahlung. Selbständige Tätigkeit. Betriebsausgaben mithilfe eines Darlehens. Grundurteil

 

Orientierungssatz

1. Hilfebedürftig i. S. der §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB 2 ist nicht, wer seinen Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann.

2. Eine dem Hilfebedürftigen lediglich vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung ist kein berücksichtigungsfähiges Einkommen i. S. von § 11 Abs. 1 SGB 2. Ein an den Darlehensgeber zurückzuzahlendes Darlehen stellt kein Einkommen in diesem Sinn dar.

3. An den Nachweis des Abschlusses und die Ernstlichkeit eines Darlehensvertrages unter Verwandten sind nach dem Urteil des BSG vom 17. Juni 2010, B 14 AS 46/09 R hohe Anforderungen zu stellen.

4. Das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit berechnet sich gemäß § 3 Abs. 1 und 2 AlgII-V anhand des Gewinns im Bewilligungszeitraum. Übersteigen die nachgewiesenen Verluste den Gesamtbetrag des Darlehens deutlich, so kommt es nicht darauf an, welche betrieblichen Kosten der SGB 2-Empfänger genau aus dem Darlehen gedeckt bzw. welchen Anteil des Darlehens er für sein Gewerbe verwandt hat und welchen Anteil für private Zwecke.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1, § 11 Abs. 1; Alg II-V § 3 Abs. 1; Alg II-V § 3 Abs. 2; SGG § 130 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 2013 abgeändert und wie folgt neu gefasst: Der Bescheid vom 14. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2011 sowie der Bescheid vom 1. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2012 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum vom 4. November 2010 bis zum 30. November 2011 Leistungen nach dem SGB II gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für den Zeitraum vom 4. November 2010 bis zum 30. November 2011 einen Anspruch gegen den Beklagten auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.

Der 1958 geborene, im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige, allein lebende Kläger bezog Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten. Mit Bescheid vom 6. Oktober 2010 waren ihm für den Zeitraum vom 1. Juli 2010 bis zum 31. Dezember 2010 Leistungen in Höhe von 787,71 Euro monatlich bewilligt worden.

Ende September 2010 erhielt der Kläger von seinem Halbbruder, dem damals im I. wohnhaften H., 30.000,- Euro in bar. In einer vom Kläger in beglaubigter Übersetzung vom 18. November 2010 vorgelegten, auf den 20. September 2010 datierten Erklärung des Herrn H. heißt es hierzu: "Ich habe am obigen Datum einen Betrag in Höhe von 30.000,- Euro an meinen Bruder M. [ ] geschickt. Ich habe diesen Betrag über Herrn N. zukommen lassen. Dieser Überbringer lebt in L. und ist ein Verwandter von uns. [ ] Ich möchte, dass mein Bruder mit diesem Geld in H1 Geschäfte tätigt und seinen Lebensunterhalt finanziert. Er kann dieses Geld zwei Jahre einsetzen, aber muss am 20.09.2012 den Betrag von 30.000,- Euro zinslos an mich zurückzahlen. [ ] Mein Bruder soll nach Erhalt des Geldes diesen Brief unterschreiben und dessen Kopie an mich zurückschicken". Die Erklärung trägt die Unterschriften des Herrn H. und des Klägers.

Zum 1. Oktober 2010 meldete der Kläger ein Gewerbe mit dem Gegenstand "An- und Verkauf, Im- und Export von gebrauchten Kfz" an. Nachdem er dem Beklagten die Gewerbeaufnahme mitgeteilt hatte, hob dieser mit Bescheid vom 7. Oktober 2010 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen ab dem 1. November 2010 auf. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 4. November 2010 stellte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 14. März 2011 lehnte der Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, der Kläger könne seinen Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Einkommen ausreichend sichern. Der Kläger reichte am 28. März 2011 weitere Unterlagen zu seiner selbständigen Tätigkeit ein, was der Beklagte als Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid wertete. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe einen monatlichen Gesamtbedarf von 787,71 Euro. Diesen könne er aus seinem Einkommen decken. Die Zuwendung des Bruders in Höhe von 30.000,- Euro sei nämlich eine auf den Bedarf anzurechnende Einnahme. Laut Vermerk wurde der Widerspruchsbescheid am 23. Mai 2011 abgesandt.

Am 24. Juni 2011 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 14 AS 2124/11 geführt worden ist....

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