Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Betriebsweg. sachlicher Zusammenhang. objektivierte Handlungstendenz. Unfallkausalität. Wirkursache. keine wesentliche Konkurrenzursache. Motorradfahren auf dem Hinterrad. nicht erwiesene Tatsache: absichtlicher Wheelie. unterschiedliche Zeugenaussagen zum Fahrvorgang. keine Angaben des Durchgangsarztes. Verkehrsunfall mit dem Motorrad

 

Orientierungssatz

Ein Bauleiter, der auf dem Weg vom Büro zu einer nahegelegenen Baustelle mit seinem Motorrad während des Fahrens auf nur einem Reifen verunglückte, steht gem § 8 Abs 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn nicht erwiesen ist, dass es sich hierbei um einen "absichtlichen Wheelie" gehandelt hatte.

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. September 2020 und der Bescheid vom 2. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2019 aufgehoben und festgestellt, dass der Unfall des Klägers am 15. Mai 2018 ein Arbeitsunfall ist.

2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 15. Mai 2018 als Arbeitsunfall festzustellen ist.

Der 1978 geborene Kläger ist als Bauleiter beschäftigt. Am 15. Mai 2018 gegen 12:00 Uhr war er mit seinem Motorrad auf dem Weg vom Büro zu einer nahegelegenen Baustelle unterwegs, als er die Kontrolle über das Motorrad verlor und stürzte. Hierbei zog er sich Verletzungen, unter anderem einen offenen Bruch am linken Unterschenkel, zu.

In der von der Arbeitgeberin ausgefüllten Unfallanzeige vom 17. Mai 2018 wurde zum Unfallhergang ausgeführt, dass der Kläger auf dem Weg von der Geschäftsstelle der Arbeitgeberin zur nahegelegenen Baustelle auf der K. beim Schaltvorgang mit der linken Hand von der Kupplung abgerutscht sei. In diesem Augenblick habe sich das Vorderrad gehoben und der Kläger habe die Kontrolle über das Motorrad verloren und sei gestürzt. Im Durchgangsarztbericht vom 22. Mai 2018 wird unter Punkt 2 „Angaben des Versicherten zum Unfallort, Unfallhergang und zur Tätigkeit, bei der der Unfall eingetreten ist“ angegeben: „Männlicher Patient als Motorradfahrer verunfallt, Motorrad hochgezogen, außer Kontrolle geraten und gestürzt gegen Betonpfeiler.“

Im Bericht der aufnehmenden Polizei zum Verkehrsunfall vom 15. Mai 2018 wurde der Unfallhergang wie folgt niedergelegt: „Vor Ort konnten drei Zeugen festgestellt werden. Alle drei waren Fußgänger und schilderten unabhängig voneinander den Unfallhergang wie folgt: Der Motorradfahrer kam aus Richtung der O. und befuhr die S. in Richtung K.. Dann beschleunigte das Motorrad stark und der Fahrer setzte zu einem sogenannten Wheelie an. Er fuhr einige Zeit auf dem Hinterrad. Als er dann mit dem Vorderrad wieder aufsetzte, geriet er ins Schleudern und kam von der Fahrbahn ab. Er prallte seitlich gegen einen der aufgestellten Schweinerücken und schleuderte anschließend gegen ein mobiles Verkehrszeichen und blieb schlussendlich hinter der Einmündung des L.liegen.“ Als Anlage waren die Angaben der Zeugin S.B. beigefügt. Diese hatte gegenüber der Polizei angegeben, dass sie aus dem Bürogebäude K./ E. beobachtet habe, wie das Motorrad des Klägers ins Schlingern geraten und anschließend gegen den linken Fahrbahnrand geprallt sei.

Mit Bescheid vom 2. August 2018 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 15. Mai 2018 als Arbeitsunfall ab und führte zur Begründung aus, dass es Voraussetzung für die Anerkennung eines Wegeunfalles sei, dass der zurückgelegte Weg in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen müsse und die bei der Zurücklegung des Weges vorliegende Handlungstendenz ausschließlich dieser Absicht diene. Dieser innere Sachzusammenhang sei immer dann nicht mehr gegeben, wenn persönliche Motive oder das Handeln des Versicherten eine anderweitige Absicht, Aktion oder Handlung erkennen ließen und diese rechtlich wesentlich in den Vordergrund rückten und die versicherte Wegezurücklegung (versicherte Tätigkeit) ihrer Handlungstendenz nach keine wesentliche Bedingung für den Unfall bilde. Es müsse davon ausgegangen werden, dass das Fahren auf nur einem Reifen (dem Hinterrad) ausschließlich der eigenen Befriedigung (dem Zurschaustellen der Fahrt) sowie sonstigen persönlichen Motiven gedient habe. Das vom Kläger später im Verwaltungsverfahren geschilderte versehentliche Fahren auf dem Hinterrad infolge eines Schaltungsfehlers könne ausgeschlossen werden, da hier zum einen das vorherige Beschleunigen und zum anderen die zurückgelegte Distanz diesem entgegenstünden. Andernfalls hätte der Kläger umgehend versucht, das Vorderrad wieder „auf die Straße zu bringen“, um anschließend gefahrlos den Heimweg fortzusetzen. Diese ausschließlich persönlich geprägten Motive hätten beim Kläger eine betriebsfremde Gefahr selbst geschaffen. Die Handlungstendenz, hier vordergrü...

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