Entscheidungsstichwort (Thema)

Untätigkeitsklage. Beginn der Wartefrist des § 88 Abs. 2 SGG. zuständiger Widerspruchsadressat. nachträgliche Zulässigkeit der Untätigkeitsklage. Untätigkeit. Kosten nach Erledigung der Untätigkeitsklage

 

Orientierungssatz

1. Die Auferlegung von Kosten einer erhobenen Untätigkeitsklage setzt voraus, dass die Klage nach den in § 88 SGG genannten Sperrfristen erhoben wurde.

2. Die 6-monatige Sperrfrist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG gilt dann nicht, wenn der Kläger mit einer Bescheiderteilung vor dem gesetzlichen Fristablauf rechnen darf, es sei denn, die Behörde hat einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit und hat diesen dem Kläger mitgeteilt oder er ist diesem bekannt.

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2006 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat es das Sozialgericht (SG) Berlin abgelehnt, der Beklagten die Kosten der von der Klägerin erhobenen Untätigkeitsklage nach deren Erledigung aufzuerlegen.

Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren - so wie hier - anders als durch Urteil beendet wird. Dabei wird über die Kostenerstattung nach sachgemäßem Ermessen entschieden (BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 2 mwN).

Grundsätzlich gilt bei Erledigung einer Untätigkeitsklage, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers erstattet, sofern die Klage nach den in § 88 SGG genannten Sperrfristen erhoben wurde. Dies gilt, weil der Kläger mit einer Bescheiderteilung vor dem gesetzlichen Fristablauf rechnen darf, sofern nicht die Beklagte einen zureichenden Grund für die Untätigkeit hat und diesen Grund dem Kläger mitgeteilt hatte oder er ihm bekannt ist (Meyer-Ladewig/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG RdNr 13c zu § 193 mwN). Ein solcher Fall ist hier indes nicht gegeben.

Vielmehr war die Klage zum Zeitpunkt ihrer Erhebung (am 22. Juli 2005) noch nicht zulässig, da die im vorliegenden Fall einschlägige Wartefrist des § 88 Abs. 2 SGG (drei Monate nach Einlegung des Widerspruchs) noch gar nicht in Lauf gesetzt worden war. Denn ein Widerspruchsverfahren gegen den nach erfolgreichem Widerspruchsverfahren im Verfahren auf Gleichstellung (§ 2 Abs. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch) erlassenen Kostenfestsetzungsbescheid der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Beklagten vom 24. Februar 2005 war zu diesem Zeitpunkt noch nicht anhängig. Dies hätte erfordert, dass bis dahin ein Widerspruch bei dieser Stelle der Beklagten eingegangen wäre, denn gemäß § 84 Abs. 1 SGG ist zuständiger Adressat des Widerspruchs die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Dies war jedoch unstreitig nicht der Fall. Ob die Klägerin - wie von ihr behauptet - am 01. März 2005 Widerspruch bei der Arbeitsagentur Berlin Mitte der Beklagten erhoben hat, ist für die Frage, ob ein Widerspruchsverfahren anhängig geworden ist und damit die Wartefrist in Lauf gesetzt worden ist, ohne Bedeutung. Denn ohne Weiterleitung an den zuständigen Widerspruchsadressaten - hier die bezeichnete Regionaldirektion der Beklagten - ist ein Widerspruch noch nicht wirksam erhoben (§ 84 Abs. 2 SGG; vgl. auch Binder in Handkommentar zum SGG 2. Auflage RdNr 13 zu § 84).

Auch der Umstand, dass die Untätigkeitsklage dadurch zulässig geworden ist, dass die Beklagte im Zuge der Klage am 14. September 2005 eine Kopie des Widerspruchsschreibens vom 01. März 2005 erhalten hat, die dem klägerischen Schriftsatz vom 02. September 2005 als Anlage beigefügt war, und der Widerspruch von der Beklagten ausgehend von diesem Zeitpunkt nicht innerhalb der dreimonatigen Wartefrist des § 88 Abs. 2 SGG beschieden worden ist, sondern erst nach deren Ablauf durch den Erlass des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2006, rechtfertigt nicht, die Beklagte (teilweise) mit den Kosten der Untätigkeitsklage zu belasten. Denn die Beklagte war bis dahin nicht etwa untätig, sondern hat, wovon sie die Klägerin auch mit Schriftsatz vom 15. September 2005 unterrichtet hatte, zunächst geprüft, ob der Widerspruch bei einer anderen Dienststelle der Beklagten, insbesondere der Arbeitsagentur Berlin Mitte, eingegangen ist, um der Klägerin sodann mit Schriftsatz vom 28. November 2005 das Ergebnis ihrer Ermittlungen mitzuteilen. Dass sie dann nach Zuleitung ihrer Aktenvorgänge am 20. Dezember 2005 noch knapp einen Monat brauchte, um den Widerspruch der Klägerin in der Sache zu bescheiden, nachdem sie ihr zuvor Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hatte, ist nicht zu beanstanden.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1751119

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