Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. unzuständiger Leistungsträger. Geltendmachen des Erstattungsanspruchs. Voraussetzung. Wahrung der Ausschlussfrist. Verjährung. Hemmung. Verwirkung. unzulässige Rechtsausübung

 

Orientierungssatz

1. Geltendmachen nach § 111 S 1 SGB 10 verlangt nicht das Einfordern des Anspruchs vor Gericht, sondern das Behaupten des Anspruchs gegenüber dem Anspruchsgegner, lässt aber die bloße Anmeldung (iS einer Ankündigung) der Forderung nicht genügen. Deswegen muss zwar der Sachverhalt, der den Erstattungsanspruch ausfüllen soll, (noch) nicht in allen Einzelheiten dargelegt, die Erstattungsforderung aber endgültig und unmissverständlich erhoben werden (vgl ua BVerwG vom 19.8.2010 - 5 C 14/09 = BVerwGE 137, 368; BSG vom 18.5.2004 - B 1 KR 24/02 R = SozR 4-2500 § 10 Nr 4 und BSG vom 22.8.2000 - B 2 U 24/99 R = SozR 3-1300 § 111 Nr 9).

2. Gerade bei Ausgleichsansprüchen zwischen zwei Leistungsträgern liegt es - auch - im Interesse des Rechtsfriedens und der Überschaubarkeit der öffentlichen Haushalte, wenn die Ansprüche innerhalb angemessener Frist abgewickelt werden. Die Geltendmachung der Verjährungseinrede findet ihre Grenze daher lediglich in den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB), insbesondere dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung oder der Verwirkung.

3. Unzulässige Rechtsausübung liegt vor, wenn sich der die Einrede geltend machende Leistungsträger zu seinem früheren Verhalten gegenüber dem Erstattungsberechtigten in Widerspruch setzt, insbesondere, wenn er diesen von der rechtzeitigen Geltendmachung des Erstattungsanspruchs abgehalten hat (vgl BSG vom 30.9.1993 - 4 RA 6/92).

4. Die Verwirkung auslösende Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl ua BSG vom 30.11.1978 - 12 RK 6/76 = BSGE 47, 194 = SozR 2200 § 1399 Nr 11).

5. Mit der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nach § 111 SGB 10 wird die Verjährung nicht gehemmt.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 22.1.2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 47.040 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Leistungen (47.040,18 €), die sie an einen bei der Beklagten Versicherten aus Anlass eines Wegeunfalls erbracht hat.

Am 18.6.2001 (13.30 Uhr) erlitt der (1963 geborene) als Kraftfahrer tätige Versicherte (im folgenden F.) auf dem Heimweg von der Arbeitsstätte als Fahrer eines PKW einen Verkehrsunfall. Er stieß frontal mit einem die Vorfahrt missachtenden PKW zusammen (Kollisionsgeschwindigkeit nach Angaben des F. ca. 55 km/h).

Die Erstbehandlung des F. fand im Kreiskrankenhaus U. statt. Im Durchgangsarztbericht des Dr. P. vom 1.8.2001 - bei dem der Kläger am Unfalltag um 14.20 Uhr eintraf - wurde ein HWS-Beschleunigungstrauma I. Grades diagnostiziert. Der Durchgangsarzt fand die HWS in allen Bewegungsrichtungen in der Rotation schmerzhaft eingeschränkt, aber keinen Druckschmerz über den Facettengelenken und über den Dornfortsätzen, die oberen Extremitäten waren ohne Befund. Die Röntgenuntersuchung zeigte keinen Anhalt für frische knöcherne Verletzungen, jedoch eine Steilstellung der HWS sowie Verschmälerungen der Zwischenwirbelräume HWK 5/6 und 6/7 mit ostheophytären Ausziehungen.

Da die Beschwerden des F. im Bereich der Halswirbelsäule sich zwar besserten, allerdings Kribbelmissempfindungen in den Händen auftraten (Nachschaubericht vom 5.9.2001), wurde er am 2.1.2002 im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus H. neurologisch untersucht (Bericht des Dr. H. vom 10.1.2002, Verwaltungsakte S. 35) und sodann vom 2.1. bis 8.2.2002 stationär behandelt. Im Befundbericht vom 11.2.2002 führte der Oberarzt Dr. N. aus, bei der MRT-Untersuchung am 3.1.2002 hätten sich eine Steilstellung der Halswirbelsäule und degenerative Veränderungen in fast allen zervikalen Segmenten gezeigt. Aufgrund der beschriebenen degenerativen Veränderungen könne dem Unfall keinesfalls allein die Verursachung der jetzt noch geklagten Beschwerden zugerechnet werden. Näheres müsse durch ein Zusammenhangsgutachten geklärt werden.

Mit Schreiben vom 25.2.2002 wandte sich die Klägerin an die Beklagte. Sie führte aus, F. habe nach der bisher vorliegenden Diagnose ein HWS-Schleudertrauma erlitten. Derzeit erbringe man folgende Leistungen bzw. habe folgende Leistungen erbracht: ambulante und stationäre Kosten, Verletztengeld und Reha-Beiträge. Dauer und Umfang der von ihr zu erbringenden Leistungen...

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