Verfahrensgang

AG Nordenham (Entscheidung vom 28.03.2008; Aktenzeichen 3 C 18/08)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 05.11.2009; Aktenzeichen IX ZR 237/08)

 

Tenor

  • Auf die Berufung des Klägers wird das am 28. März 2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Nordenham, 3 C 18/08 (I), geändert.

  • Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der restlichen Forderung des Rechtsanwalts ... in Höhe von 166,60 Euro gemäß Rechnung Nr. 60/07 vom 19.02.2007 freizustellen.

  • Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

  • Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

  • Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Freistellung von einer Restforderung seines Prozessbevollmächtigten, der ihn in einem Strafverfahren der Staatsanwaltschaft ... und in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen eines Verkehrsunfalls vertreten hat. Es wird Bezug genommen auf die Ausführungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, wogegen sich der Kläger mit seiner Berufung wendet.

Der Kläger beantragt,

  • unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Nordenham vom 28.03.2008 (Az. 3 C 18/08 (I)) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der restlichen Forderung des Rechtsanwalts ... in Höhe von 166,60 Euro gemäß Rechnung Nr. 60/07 vom 19.02.2007 freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet, § 513 Abs. 1 ZPO.

Der Kläger hat aus dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutz-Versicherungsvertrag einen Anspruch auf Freistellung von der im Tenor bezeichneten Verbindlichkeit, weil die vom Klägervertreter in Rechnung gestellte zusätzliche Gebühr nach Ziffer 4141 (1) Nr. 1 der Anlage 1 zum RVG (VV-RVG) angefallen ist.

Die Kammer ist der Auffassung, dass die zusätzliche Gebühr nach Ziffer 4141 (1) Nr. 1 VV-RVG auch dann entsteht, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit an die zuständige Verwaltungsbehörde abgibt.

Gemäß Ziffer 4141 (1) Nr. 1 VV-RVG entsteht eine zusätzliche Gebühr, wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird. Für die hier zu entscheidende Rechtsfrage ist maßgeblich, wie der Begriff "Verfahren" zu verstehen ist. Aus einer Gesamtschau unter Berücksichtigung des § 17 Nr. 10 RVG und der Vorschriften des Teil 4. und Teil 5. des VV-RVG ergibt sich, dass unter dem Verfahren im Sinne von Ziffer 4141 (1) Nr. 1 VV-RVG ausschließlich das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu verstehen ist, nicht aber der gesamte zugrunde liegende Sachverhalt. Das hat zur Folge, dass eine endgültige, nicht nur vorläufige Einstellung vorliegt; denn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist im Gegensatz zum zugrunde liegenden Sachverhalt abgeschlossen.

Entgegen der Auffassung der Berufung spricht allerdings der Wortlaut des § 17 Nr. 10 RVG allein nicht für die vorgenommene Auslegung. Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die Begriffe "Angelegenheit" und "Verfahren" nicht gleichzusetzen, so dass der Wortlaut des § 17 Nr. 10 RVG der vom Amtsgericht vorgenommenen Auslegung nicht entgegensteht. Jedoch wird die in § 17 Nr. 10 RVG getroffene Regelung, dass das Ermittlungsverfahren und das sich nach dessen Einstellung daran anschließende Bußgeldverfahren zwei Angegelegenheiten darstellen, konsequent in der Ausgestaltung der Gebührentatbestände fortgesetzt. So sind in Teil 4. VV-RVG die in Strafsachen und in Teil 5. VV-RVG die in Bußgeldsachen entstehenden Gebührentatbestände aufgeführt. Der in den jeweiligen Teilen der VV-RVG verwendete Verfahrensbegriff kann sich daher, wenn wie hier weitere Anhaltspunkte fehlen, nur auf das in dem jeweiligen Teil behandelte Verfahren, also das Straf- bzw. Bußgeldverfahren beziehen.

Für diese vorgenommene Auslegung spricht auch zwingend die Kompensationsfunktion, die der zusätzlichen Gebühr nach Ziffer 4141 VV-RVG zukommen soll. Sie soll Ausgleich dafür sein, dass der Rechtsanwalt, der durch seine Mitwirkung eine Hauptverhandlung entbehrlich gemacht hat, die Verfahrensgebühr nach Ziffer 4106 VV-RVG nicht erhält. Dementsprechend fällt die zusätzliche Gebühr auch in der Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr an. Derjenige Rechtsanwalt, der sowohl in der Hauptverhandlung als auch in einem sich anschließenden Bußgeldverfahren tätig wird, würde aber sowohl die Verfahrensgebühr als auch die im Bußgeldverfahren anfallenden Gebühren erhalten. Eine solche gebühren rechtlich ungleiche Bewertung von vergleichbarer anwaltlicher Tätigkeit sollte durch Ziffer 4141 VV-RVG gerade verhindert werden.

Die vom Amtsgericht vertretene Auslegung führt zudem zu einer faktischen Anrechnung von im Strafverfahren angefallenen Gebühren auf ein in der Zukunft durchzuführendes Bußgeldverfahren, die vom Gesetzgeber nicht vorg...

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