Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung vertraglicher Nebenpflichten. Verhaltensbedingte Kündigung nach Verwendung eines gefälschten Impfausweises. Allgemeine Gefahrenabwehr durch die 3G-Regelung im IfSG. Entbehrlichkeit einer Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verschafft sich ein Arbeitnehmer wiederholt unberechtigten Zugang zum Betrieb unter Verwendung eines gefälschten Impfnachweises, um die Zutrittsbeschränkungen des § 28b Abs. 1 IfSG idF ab 24.11.2021 zu umgehen (sog. 3G-Regelung), liegt darin eine gravierende Pflichtverletzung, die grundsätzlich eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann.

2. Auf den tatsächlichen Eintritt einer konkreten Gefährdungssituation kommt es dabei nicht entscheidend an.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen. Das trifft sowohl auf die hauptleistungspflichtbezogenen Nebenleistungspflichten zu, die der Vorbereitung, ordnungsgemäßen Durchführung und Sicherung der Hauptleistung dienen und diese ergänzen, wie auch auf sonstige, aus dem Gebot der Rücksichtnahme erwachsende Nebenpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB).

2. Der Gesetzgeber schuf mit der 3G-Regelung eine der allgemeinen Gefahrenprävention dienende Regelung, die gerade nicht auf das Vorliegen einer konkreten Gefährdungslage abstellte, sondern unabhängig von einer konkreten Infektion eines Beschäftigten gelten sollte.

3. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

IfSG § 28b; KSchG § 1; BGB § 241 Abs. 2; StGB § 279; BetrVG § 102 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 21.09.2022; Aktenzeichen 4 Ca 118/22)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 21.09.2022, Az. 4 Ca 118/22, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.09.2011 als Production Admin Assistent Colloidal Silica Plant zu einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von zuletzt 4.072,23 EUR beschäftigt. Im Rahmen der zum 24.11.2021 in Kraft getretenen Änderung des § 28b IfSG und der damit einhergehenden Einführung der sog. 3G-Regelung gab die Beklagte am 25.11.2021 eine vierseitige Mitarbeiterinformation "A-Stadt COVID Kommunikation - Nr. 36" heraus, die sie an den Schwarzen Brettern im Betrieb aushängte und per Mail an alle Mitarbeiter mit Zugang zu einem Rechner, darunter auch den Kläger, versandte. In dieser Mitteilung heißt es:

"Mit dem neugefassten Infektionsschutzgesetz und der beschlossenen 3G-Regel am Arbeitsplatz ... gelten ab sofort verschärfte Regeln für das private Leben genauso wie für das berufliche Miteinander. Das Gesetz trat gestern in Kraft. Aus diesem Grund müssen alle G. Beschäftigten ab Mittwoch, 1. Dezember 2021, einen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis mit sich führen und zur Kontrolle verfügbar halten. Wir sind als Ihr Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die jeweiligen Nachweise zu kontrollieren. Die neuen 3G-Regeln dienen der besseren Bekämpfung des Coronavirus und sollen der Ausbreitung der Coronapandemie entgegenwirken ... Wenn Sie weder geimpft noch genesen sind und Sie an dem Tag arbeiten und ins Werk kommen müssen, dann dürfen Sie das Werk nur betreten und nur arbeiten, wenn Sie vorab getestet sind und keine Corona-Erkrankung vorliegt. Nutzen Sie bitte grundsätzlich die Testzentren außerhalb von G. ... Ungeimpfte müssen selbst für Testnachweise an allen Arbeitstagen sorgen. Unter dem folgenden Link finden Sie etwa in der Mitte der Seite "Testmöglichkeiten in A-Stadt". Hier sind alle Teststellen in A-Stadt und Umgebung aufgelistet ... Der Zugang zum Werk ist nur erlaubt, wenn man einen aktuellen gültigen 3G-Nachweis mit sich führt (Genesen, Geimpft, Getestet). Sollte dieser Nachweis in Ausnahmefällen nicht vorhanden sein, gibt es die folgende Möglichkeit bei G.: Ab dem 1. Dezember 2021 wird vor dem Werkschutzgebäude ein Container für "Selbsttests unter Aufsicht" aufgestellt. Dort können Sie unter Aufsicht von geeignetem Personal ... Selbsttests durchführen ... Unabhängig von diesem Zusatzangebot gilt weiterhin, dass jedem Mitarbeiter, der mindestens einmal pro Woche vor Ort arbeitet, zwei Selbsttests zur Verfügung gestellt werden. Diese Tests, von Ihnen selbst zu Hause durchgeführt, entsprechen nicht der gesetzlichen Vorgabe, damit Sie als Ungeimpfter das Werk betreten dürfen. Sie dürfen nur arbeiten, wenn Sie entweder geimpft, genesen oder getestet sind (Selbsttests unter Aufsicht von geeignetem Personal, PCR-Test). Dies dokumentieren Sie an jedem Arbeitstag durch Vorlage des Nachweises vor der 3G-...

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