Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverhältnismäßige außerordentliche Kündigung wegen sexueller Belästigung bei unterlassener Abmahnung

 

Leitsatz (redaktionell)

Erfüllen sowohl ein Kuss auf die Wange als auch der Inhalt eines WhatsApp-Chats den Tatbestand einer sexuellen Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG und stellen diese Verhaltensweisen daher eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar, ist eine außerordentliche Kündigung seitens der Arbeitgeberin gleichwohl unverhältnismäßig, wenn keine Umstände vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass selbst nach einer Abmahnung von einer Wiederholungsgefahr auszugehen ist, und die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht als derart schwerwiegend erscheint, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Arbeitgeberin nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

AGG § 12 Abs. 3, § 3 Abs. 4; BGB § 626 Abs. 1, § 314 Abs. 2, § 323 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 06.09.2017; Aktenzeichen 4 Ca 491/17)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 06.09.2017, Az.: 4 Ca 491/17, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung und um Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der 1956 geborene, verheiratete Kläger war auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 22. Januar 2001 seit dem 1. April 2001 bei der Beklagten am Standort Brüderkrankenhaus M. als Anästhesiepfleger bei einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 5.451,88 Euro beschäftigt. In § 2 des Arbeitsvertrags wird auf die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Bezug genommen, nach deren § 14 Abs. 5 bei einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren und ab einem Lebensalter von 40 Jahren eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber regelmäßig ausgeschlossen ist.

Die Beklagte betreibt ein k. Klinikum und beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Auf der Grundlage der Mitarbeitervertretungsordnung für das Bistum L. wurde bei der Beklagten eine Mitarbeitervertretung gebildet.

Im Januar 2016 nahm der Kläger an einer Schulung zur "Prävention von sexuellem Missbrauch und Gewalt" am Arbeitsplatz teil (Schulungsinhalte: Bl. 36-119 d.A) und unterschrieb wie auch die anderen Teilnehmer eine sog. Selbstverpflichtungserklärung (Bl. 125 d.A.).

Ab dem 1. August 2016 war die seinerzeit 17-jährige P. P. im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahrs bei der Beklagten beschäftigt. Sie wurde dem Bereich Anästhesie, in dem der Kläger tätig war, zugeteilt. Die Tätigkeit der Frau P. entwickelte sich aus Sicht des verantwortlichen leitenden Anästhesiepflegers, Herr M., zunächst nicht zur Zufriedenheit der Beklagten. Dies teilte Herr M. dem Kläger mit. Der Kläger bot daraufhin an, sich um Frau P. zu kümmern und deren Betreuung zu übernehmen, womit Herr M. einverstanden war.

In diesem Zusammenhang bat sodann Frau P. den Kläger um dessen Telefonnummer, um sich etwa im Fall einer unvorhergesehenen Verspätung bei der Beklagten melden zu können. Zwischen dem Kläger und Frau P. entwickelte sich in der Zeit vom 18. November 2016 bis zum 21 November 2016 ein WhatsApp-Chat, in dem es auszugsweise heißt (Bl. 21-31 d.A):

"[18. November 2016]

Frau P.: Hallo, ich bins P

Hab deine Nummer jetzt direkt eingespeichert, bevor ich sie ein zweites mal verliere

Kläger: [diverse Emojis]

Kläger: wow auf deinem kontaktbild siehst du super aus

Frau P.: Dankeschön [Emoji]

und das neben mir ist mein Freund [Emoji]

[21. November 2016]

Frau P.: [...]

Also ich kann Freitag nicht nach W. kommen ....

Kläger: [diverse Emojis]

Frau P.: das ist schade, wäre gerne dabei gewesen [diverse Emojis]

Kläger: ist vielleicht besser so, irgendwie bin ich fasziniert von dir und finde dich halt auch lieb und hübsch [Emoji]

Frau P. Dankeschön das ist lieb [Emoji]

Frau P.: wieso ist das vllt besser deswegen? [diverse Emojis]

Kläger: ich weiß nicht ob ich vergessen würde dass ich verheiratet bin und dass du ein Freund hast [Emoji]

Frau P.: Ach [Emoji] aber du bist schon 25 Jahre verheiratet [Emoji]

Kläger: ich bin aber trotzdem an Mann [diverse Emojis]

[...]

Frau P.: So jetzt habe ich Zeit zum Schreiben. Ich hatte mir mal gedanken gemacht über das was du mir geschrieben hast. Dann ist mir aufgefallen das es doch sehr eindeutige Nachrichten waren. Und wir haben 43 Jahre altersunterschied und ich denke, dass man so etwas einer 17 jährigen nicht schreiben sollte.

Ob es spaß oder ernst war sei mal dahingestellt. Fakt ist das man sowas sowohl unter Arbeitskollegen noch allgemein nicht schreiben sollte und nicht wenn man verheiratet ist. Ich möchte das auch nicht an die große Glocke hängen, sondern das einfach klären.

Wir können wegen mir morgen auch drüber sprechen oder das hier drüber klären aber es muss jedenfalls geklärt werden.

Nur ich denke wir sollten ab jetzt nur über die Arbeit schreiben und sons...

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