Entscheidungsstichwort (Thema)

Auskunftsansprüche einer Arbeitnehmerin wegen geschlechtsbezogener Entgeltdiskriminierung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Aus der Wertung der §§ 2 Abs. 1 Nr. 2 und 8 Abs. 2 AGG sowie aus § 612 Abs. 3 BGB folgt ein Anspruch auf Zahlung der Lohndifferenz für gleiche oder gleichwertige Arbeiten.

2. Dieser Anspruch verfällt nicht gem. § 15 Abs. 4 AGG, da es sich nicht um einen Schadensersatz-, sondern einen Erfüllungsanspruch handelt.

 

Normenkette

AGG § 15 Abs. 4; BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2, §§ 203, 242; ZPO § 254; BGB § 611

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 11.10.2017; Aktenzeichen 11 Ca 951/17)

 

Tenor

  1. Auf die Berufungen beider Parteien - und unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11. Oktober 2017, Az. 11 Ca 951/17, teilweise wie folgt geändert:

    Die Beklagte wird unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.10.2015, Az. 11 Ca 1830/14, verurteilt, der Klägerin über sämtliche in ihrem Versand- und Logistikbetrieb in A-Stadt, der vormaligen X+X Lieferservice und Logistik GmbH, in der Zeit vom 01.05.2004 bis 31.12.2009 beschäftigten gewerblichen, nicht nach einem Tarifvertrag, auf Basis eines Stundenlohns vergüteten, mit Versandarbeiten, jedoch nicht als stellvertretende Teamleiter oder Teamleiter beschäftigten männlichen Arbeitnehmer jeweils einzeln anonymisiert schriftlich Auskunft über die Höhe des in jedem Monat gezahlten Bruttostundenlohns zu erteilen, sowie Auskunft darüber zu erteilen, aufgrund welcher Tatsachen die Beklagte den männlichen Arbeitnehmern den vorstehend mitzuteilenden Bruttostundenlohn gezahlt hat.

    Im Übrigen wird die Klage auf der ersten Stufe abgewiesen.

  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten - soweit zweitinstanzlich von Interesse - auf der ersten Stufe einer Stufenklage über Auskunftsansprüche der Klägerin (für die Zeit vom 01.12.2003 bis 31.12.2012) wegen geschlechtsbezogener Entgeltdiskriminierung.

Die 1979 geborene Klägerin ist seit 25.08.1998 bei der Beklagten als Versandmitarbeiterin beschäftigt. Sie wurde von der X+X Lieferservice und Logistik GmbH eingestellt, die zum 01.10.2013 durch Verschmelzung auf die Beklagte übertragen wurde. Gegenstand der Beklagten ist ua. Logistik und Versand der Schuhe, die von der B.-Gruppe hergestellt werden. Weder die Beklagte noch ihre Rechtsvorgänger sind oder waren tarifgebunden. Im ursprünglichen Arbeitsvertrag (Bl. 439 ff d.A.) der Parteien war eine wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin von 40 Stunden vereinbart, die mit Änderungsvertrag vom 15.11.2010 (Bl. 443 d.A.) auf 23,75 Stunden reduziert worden ist.

Die Beklagte zahlte bis 31.12.2012 an die im Versand beschäftigten Frauen bei gleicher Tätigkeit einen geringeren Stundenlohn als den Männern. Ab 01.01.2010 zahlte sie der Klägerin einen Grundstundenlohn von € 9,07 brutto, den vergleichbaren männlichen Versandmitarbeitern zahlte sie € 10,26 brutto. Die Anwesenheitsprämie (5 % des Bruttolohns), das Weihnachtsgeld (40 % des Bruttolohns) und das Urlaubsgeld (46,5 % des Bruttolohns) berechnete die Beklagte für Frauen bis 31.12.2012 ebenfalls auf der Grundlage des niedrigeren Stundenlohns. In einer im Januar 2013 durchgeführten Betriebsversammlung/Teambesprechung setzte die X+X Lieferservice und Logistik GmbH die Belegschaft darüber in Kenntnis, dass sie die Löhne der Frauen ab Januar 2013 an die Löhne der Männer angleichen wolle; der Grundstundenlohn der Frauen im Versand werde deshalb rückwirkend ab 01.01.2013 auf € 10,26 brutto erhöht.

Mit Anwaltsschreiben vom 07.02.2014 (Bl. 19 ff d.A.), der Beklagten am selben Tag zugegangen, machte die Klägerin Vergütungsdifferenzen seit ihrer Einstellung im Jahr 1998 bis zum 31.12.2012 und eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG unter Fristsetzung bis zum 21.02.2014 geltend. Die Differenzbeträge berechnete sie für 14 Jahre und 2 Monate auf der Grundlage einer monatlichen Arbeitszeit von durchgehend 185 Stunden. Dabei ging sie von einer Lohnlücke zwischen Frauen und Männern von € 1,19 pro Stunde aus, die sie für die Zeit vor dem 01.10.2010 unterstellte. Außerdem verlangte sie Auskunft über die Vergütung der mit ihr vergleichbaren männlichen Versandmitarbeiter seit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte wies die Ansprüche mit Anwaltsschreiben vom 24.02.2014 (Bl. 398 ff d.A.) mit der Begründung zurück, die geltend gemachten Ansprüche seien nach § 15 Abs. 4 AGG verfallen. Weiterhin bot sie der Klägerin - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - an, eine Abgeltungsvereinbarung in der Form abzuschließen, wie sie dies bereits mit einer Vielzahl der Mitarbeiterinnen getan habe. Das Angebot der Beklagten (Bl. 401 ff d.A.) sah die Zahlung eines Betrages iHv. € 5.000,00 zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts vor.

Die Klägerin machte mit einer am 07.05.2014 vorab per Telefax beim Arbeitsgericht Koblenz eingegange...

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