Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds. Unbegründeter Zustimmungsersetzungsantrag bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur weiteren Beschäftigung einer Mitarbeiterin ohne qualifizierte Ausbildung infolge Drittvergabe von Reinigungsarbeiten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Die verweigerte Zustimmung ist gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG und § 15 KSchG zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist.

2. Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung kommt gemäß § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenübersteht. Unter diesen Umständen ist die Arbeitgeberin wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung in einem besonderen Maß verpflichtet zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden.

3. Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzusetzen, wird die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin in der Regel entsprechend einzusetzen haben, so dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nur vorliegen kann, wenn alle denkbaren Alternativen ausscheiden. Ob ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gegeben ist, hängt daher in diesen Fällen davon ab, ob jedwede Möglichkeit ausgeschlossen ist, die Arbeitnehmerin anderweitig sinnvoll einzusetzen, und die Arbeitgeberin wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung für erhebliche Zeiträume an ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis gebunden und zur Vergütung verpflichtet wäre.

4. Im Falle einer außerordentlichen Kündigung aus betrieblichen Gründen zur Vermeidung eines sinnentleerten Arbeitsverhältnisses hat die Arbeitgeberin nicht nur darzulegen, dass eine Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin am bisherigen Arbeitsplatz infolge der unternehmerischen Organisationsentscheidung nicht mehr möglich ist sondern von sich aus auch darzulegen, dass überhaupt keine Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis in der bestehenden Ausgestaltung oder zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung sinnvoll fortzusetzen. Bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung gehört das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zum “wichtigen Grund„ und ist deshalb von der Arbeitgeberin darzulegen.

5. Bestehen nach eigenen Angaben der Arbeitgeberin in geringem Umfang grundsätzlich Beschäftigungsmöglichkeiten für eine Mitarbeiterin ohne qualifizierte Ausbildung und ist nicht ohne weiteres anzunehmen, dass diese Beschäftigungsmöglichkeiten für die gekündigte Arbeitnehmerin ausscheiden, hat die Arbeitgeberin dazu von sich aus darzulegen, dass sie alles Zumutbare unternommen hat, um die durch ihr (neues) unternehmerisches Konzept notwendig werdenden Anpassungen der Vertragsbedingungen auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken und insbesondere auch alle Anstrengungen unternommen hat, eine weitere Beschäftigung der Mitarbeiterin ohne qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen.

 

Normenkette

BetrVG § 102 Abs. 1, § 103 Abs. 2 S. 1, § 33; BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 15; ZPO § 138 Abs. 1, 4

 

Verfahrensgang

ArbG Trier (Entscheidung vom 28.10.2015; Aktenzeichen 4 BV 26/14)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 28. Oktober 2015 - Az: 4 BV 26/14 - abgeändert:

    Der Antrag der Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist gegenüber der Beteiligten zu 3).

Die 47-jährige Beteiligte zu 3) ist bei der in der Betonbranche tätigen Beteiligten zu 1) (im Folgenden: Arbeitgeberin) seit 07. September 2000 auf der Basis einer geringfügigen Beschäftigung zu einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 450,00 Euro als - einzige - Reinigungskraft für Geschäftsräume, Büro und Toiletten beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde nicht geschlossen. Ob die Beteiligte zu 3) zu Beginn ihrer Tätigkeit auch andere Arbeiten verrichtet hat, ist zwischen den Beteiligten umstritten.

Die Beteiligte zu 3) ist Mitglied des bei der Arbeitgeberin gewählten Beteiligten zu 2) (im Folgenden: Betriebsrat). Zuletzt wurde die Beteiligte zu 3) im Rahmen der regulären Betriebsratswahl 2014 in den Betriebsrat gewählt, war aber auch schon zuvor dessen Mitglied.

Am 15. September 2014 beschlossen die fünf Geschäftsführer der Arbeitgeberin ausweislich der Niederschrift der Geschäftsführersitzung vom gleichen Tag (Bl. 6 d. A.) einstimmig, die Reinigungsarbeiten aus wirtschaftlichen und betrieblichen Gründen außer...

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