Entscheidungsstichwort (Thema)

Regelungslücke als Voraussetzung einer Gesetzesanalogie. Anrechnung von Urlaubsansprüchen in analoger Anwendung der § 615 S. 2 BGB und § 11 KSchG. Gesamtberechnung des Jahresurlaubs auch bei Urlaubsanrechnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Arbeitnehmer muss sich den ihm während des Kündigungsschutzrechtsstreits von einem anderen Arbeitgeber gewährten Urlaub auf seine Urlaubsansprüche gegen den alten Arbeitgeber in entsprechender Anwendung der §§ 615 S. 2 BGB, 11 KSchG anrechnen lassen, wenn er die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig hätte erfüllen können. Das gilt auch für den vertraglich vereinbarten Urlaub der den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt.

2. Auch bei der Anrechnung des Urlaubs ist eine Gesamtberechnung anhand der im gesamten Anrechnungszeitraum gewährten Urlaubs vorzunehmen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Analogie setzt voraus, dass das Gesetz eine Regelungslücke enthält und eine vergleichbare Interessenlage vorliegt. Eine Regelungslücke ist nur bei einer planwidrigen Unvollständigkeit gegeben. Die analoge Anwendung einer Bestimmung muss zur Ausfüllung der Lücke erforderlich sein, so dass die Rechtsfolge eines gesetzlichen Tatbestands auf einen vergleichbaren, aber im Gesetz nicht geregelten Tatbestand zu übertragen ist.

 

Normenkette

KSchG § 11; BGB § 615 S. 2; BUrlG § 7 Abs. 4, §§ 1, 6

 

Verfahrensgang

ArbG Lüneburg (Entscheidung vom 01.09.2021; Aktenzeichen 2 Ca 310/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 05.12.2023; Aktenzeichen 9 AZR 230/22)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 01.09.2021 - 2 Ca 310/20 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Zahlung von Urlaubsabgeltung.

Die Klägerin war ab dem 1.12.2014 bei der E-aktiv Markt H. GmbH als Fleischereifachverkäuferin beschäftigt. Wegen des Wortlauts des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29.10.2014 wird auf Bl. 10 bis 15 d. A. Bezug genommen. Das Arbeitsverhältnis ging spätestens zum 1.12.2019 im Wege eines Betriebsüberganges auf den Beklagten über.

Mit Schreiben vom 23.12.2019 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin fristlos und beschäftigte sie nicht weiter. Auf die von der Klägerin zu dem Aktenzeichen ArbG Lüneburg 1 Ca 16/20 erhobene Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht Lüneburg die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Die dagegen unter dem Aktenzeichen LAG Niedersachsen, 15 Sa 1093/20 eingelegte Berufung nahm der Beklagte zurück. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 7.5.2021 vor Ablauf des Monats Mai 2021.

Ab dem 1.2.2020 hatte die Klägerin ein neues Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber angetreten. Dieser gewährte der Klägerin Urlaub im Umfang von 25 Arbeitstagen im Jahr 2020 und 10 Arbeitstagen im Jahr 2021 bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten.

Mit Schriftsatz vom 6.11.2020 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben und zunächst Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung für Januar 2020 geltend gemacht. Mit Schriftsatz vom 04.06.2021 hat die Klägerin ihre Klage um Ansprüche auf Urlaubsabgeltung erweitert.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis zum 7. Mai 2021 hätten ihr 42,5, mithin 43 Urlaubstage zugestanden. Diese habe der Beklagte mit der Urlaubsvergütung in Höhe von 87,03 EUR pro Tag, mithin insgesamt mit 3.742,65 EUR brutto abzugelten.

Die Klägerin hat beantragt,

1. der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.263,00 EUR brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 713,92 EUR netto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2020 zu zahlen;

2. der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.742,65 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2020 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 01.09.2021 hat das Arbeitsgericht Lüneburg dem Antrag zu 1. stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe für den Monat Januar 2020 Ansprüche auf Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges, soweit diese nicht auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen seien. Für 2020 ergebe sich ein Urlaubsanspruch in Höhe von 25 Tagen und für 2021 in Höhe von 8,33 Tagen. Der Urlaubsanspruch der Klägerin sei in entsprechender Anwendung der Vorschriften des § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 S. 2 BGB durch den vom neuen Arbeitgeber gewährten Urlaub erloschen.

Gegen das ihr am 14.09.2021 zugestellte Urteil vom 01.09.2021 hat die Klägerin mit undatiertem Schriftsatz, bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen am 4. Oktober 2021 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 11.11.2021, bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen am 11.11.2021 begründet.

Die Klägerin ist der Ansich...

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