Entscheidungsstichwort (Thema)

außerordentliche Kündigung wegen Reisekostenabrechnungsbetrug. vorsätzliches Falschabrechnen. unverzügliche Kündigung nach Zustimmung des Integrationsamtes: Kündigungszugang am 03.05.2011 nicht mehr unverzüglich nach am 28.04.2011 erteilter Zustimmung des Integrationsamtes. Außerordentliche Kündigung. Unwirksamkeit bei Versäumung der Frist des § 91 Abs. 5 SGB IX

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierenden Reisekosten korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.

2. Eine außerordentliche Kündigung ist aber dann unwirksam, wenn sie entgegen der Vorschrift des § 91 Abs. 5 SGB IX nicht unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes erklärt wurde.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1-2; SGB IX § 91 Abs. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 20.09.2011; Aktenzeichen 1 Ca 758/11)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 20.09.2011 - 1 Ca 758/11 - abgeändert und wie folgt neu formuliert:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 02.05.2011 nicht aufgelöst wird.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Ausbilder im Bereich Metall weiter zu beschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die rechtliche Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers sowie um dessen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

Der 56-jährige Kläger ist geschieden und war seit Juli 1988 bei der Beklagten, einem Unternehmen zur Förderung der beruflichen Bildung, als Ausbilder für die Grund- und Fachausbildung im Metallbereich beschäftigt. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden belief sich sein monatliches Bruttoentgelt zuletzt auf 3.156,00 EUR.

Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 60.

Der Betriebsrat formulierte in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 14.04.2011 Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung.

Das Integrationsamt erteilte mit Telefax vom 28.04.2011, bei der Beklagten eingehend um 16.04 Uhr, die Zustimmung zu der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers.

Gegen die Entscheidung des Integrationsamtes hat der Kläger zunächst erfolglos Widerspruch eingelegt. Den Widerspruchsbescheid vom 01.07.2011 greift er derzeit im Klagewege vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (UK 3845/11) an.

Die Beklagte stützt ihre außerordentliche Kündigung auf den folgenden Sachverhalt:

Auf Veranlassung der Beklagten nahm der Kläger in der Zeit vom 21.02.2011 bis zum 28.03.2011 in Duisburg an einer Schweißfachausbildung teil. Die Ausbildung erfolgte während der Arbeitszeit des Klägers.

Der Kläger legte der Beklagten unter dem 30.03.2011 seine durch Unterschrift als richtig versicherte Reisekostenabrechnung für den Monat März 2011 vor. Nach Prüfung dieser Abrechnung insbesondere anhand der Anwesenheitsliste Duisburg stellte die Beklagte fest, dass der Kläger am 17. und 18.03.2011 nicht an der Ausbildungsmaßnahme teilgenommen, gleichwohl jedoch Fahrtkosten für beide Tage und ein Tagegeld für den 17.03.2011 - insgesamt einen Betrag von 60,00 EUR - abgerechnet hatte.

Der zuständige Ausbilder bestätigte der Beklagten am 01.04.2011, dass der Kläger sich für die Tage 17. und 18.03.2011 entschuldigt hatte. Gegenüber der Beklagten erfolgte eine Abwesenheitsmeldung des Klägers indes nicht.

In einem Personalgespräch am 06.04.2011 räumte der Kläger ein, am 17. und 18.03.2011 nicht - wie abgerechnet - ganztägig in der Kursstätte in Duisburg gewesen zu sein.

Eine weitere Überprüfung der Anwesenheitsliste Duisburg durch die Beklagte ergab am 06.04.2011, dass der Kläger am 05.03.2011, einem Samstag, Fahrtkosten in Höhe von 27,00 EUR abgerechnet hatte, obwohl an diesem Tag keine Fortbildung stattfand. Gleiches gilt für den 07.03.2011, Rosenmontag, den der Kläger mit Fahrtkosten und Tagegeld in Höhe von insgesamt 33,00 EUR abrechnete.

Die Reisekostenabrechnung des Klägers für den Monat Februar 2011, von der Beklagten ebenfalls am 06.04.2011 überprüft, führte zu der Feststellung, dass der Kläger ohne persönliche Anwesenheit an diesem Tag in Duisburg für den 21.02.2011 sowohl Fahrtkosten wie auch Tagegeld in Höhe von insgesamt 33,00 EUR abgerechnet hatte.

Der Kläger hat die fristlose Kündigung für unwirksam gehalten.

Die Maske für entsprechende Abrechnungen sei auf dem Server der Beklagten als Blankomaske abgespeichert. Die Februar-Abrechnung habe er Anfang März auf dem PC einer Arbeitskollegin abgespeichert, da sein eigener PC keinen Zugang erlaubt hätte. Den 21.02. habe er - ausgehend von einem ihm gegenüber an der Wand befindlichen Kalender - als ersten Lehrgangstag ein...

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