Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergütungsansprüche einer Kopftuch tragenden Krankenschwester im Dienste einer Einrichtung der Evangelischen Kirche

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat sich ein nichtchristlicher Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag nicht nur verpflichtet, sich gegenüber der Evangelischen Kirche loyal zu verhalten (§ 4 Abs 1 EvKiLoyRL), sondern darüber hinaus den kirchlichen Auftrag zu beachten und die ihr übertragenen Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen (§ 4 Abs 4 EvKiLoyRL), ergibt sich daraus unmittelbar - als Mindestanforderung an die Aufgabenerfüllung im kirchlichen Dienst - eine Verpflichtung zu einem neutralen Verhalten gegenüber der Evangelischen Kirche.

2. Das Tragen eines Kopftuchs oder einer entsprechenden anderen Kopfbedeckung ist ein nach außen hin sichtbares Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit die Kundgabe einer anderen Religionszugehörigkeit. Angesichts der von der Arbeitnehmerin ausgeübten Tätigkeit einer Krankenschwester ist dies mit der Verpflichtung zu neutralem Verhalten gegenüber der Evangelischen Kirche nicht in Einklang zu bringen.

3. Die der Arbeitnehmerin auferlegte Pflicht, das Tragen eines Kopftuchs oder einer vergleichbaren, ihren Glaubensgeboten entsprechenden Kopfbedeckung während der Arbeitszeit zu unterlassen, ist zur Gewährleistung des aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht resultierenden Neutralitätsgebots geeignet, erforderlich und angemessen.

4. § 9 Abs. 2 AGG ist europarechtskonform dahin auszulegen, dass die Religionsgemeinschaften sowie die ihnen zuzuordnenden Einrichtungen ein loyales und aufrichtiges Verhalten ihrer Arbeitnehmer insoweit verlangen können, als es sich nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung um eine wesentliche, rechtmäßige, gerechtfertigte und verhältnismäßige berufliche Anforderung angesichts ihres Ethos handelt.

5. Wird einer Krankenschwester auferlegt, sie dürfe den Dienst nicht mit einem islamischen Kopftuch versehen, erweist sich dies nach den vorgesehenen Umständen, unter denen die Tätigkeit auszuüben ist, als eine wesentliche, rechtmäßige, gerechtfertigte und verhältnismäßige berufliche Anforderung.

 

Normenkette

BAT-KF; GG Art. 4, 140; WRV Art. 137; AGG § 9 Abs. 2; RL 2000/78/EG; EMRK Art. 9 Abs. 1, Art. 11

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Entscheidung vom 25.04.2018; Aktenzeichen 3 Ca 1757/17)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 25.04.2018 - 3 Ca 1757/17 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Gehaltsansprüche der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges und insbesondere über die Frage, ob die Klägerin es unterlassen muss, während der Arbeit ein Kopftuch zu tragen.

Die Beklagte, eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, betreibt ein Krankenhaus in C, das vor Gründung der Beklagten im Jahr 2003 in der Trägerschaft der Evangelischen Kirchengemeinde C stand. In diesem Krankenhaus war die Klägerin seit 1996 tätig. Einzige Gesellschafterin der Beklagten ist die Evangelische Stiftung B. Diese Stiftung wurde durch Beschluss des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 16.1.2003 als Evangelische Stiftung anerkannt. Diese Stiftung wurde gegründet von der Evangelischen Kirchengemeinde C, dem Gesamtverband der Evangelischen Kirchengemeinden I, der Gesellschaft "B-Kranken-Anstalt gGmbH" und der Gesellschaft "Evangelisches Krankenhaus I gGmbH".

In der Satzung der Stiftung heißt es u. a.:

"Präambel

Die Gesellschaft "B Kranken-Anstalt gGmbH" steht in Trägerschaft der Evangelischen Kirchengemeinde C, die Gesellschaft "Evangelisches Krankenhaus I gGmbH" in Trägerschaft des Gesamtverbandes evangelischer Kirchengemeinden I. Beide Gesellschaften betreiben jeweils ein Krankenhaus mit angegliederten Einrichtungen.

Die beiden Gesellschaften arbeiten seit 1993 eng zusammen. Auf dem Fundament dieser erfolgreichen Zusammenarbeit streben die beiden Gesellschaften einen Zusammenschluß der Krankenhäuser in einer zeitgemäßen und zukunftsweisenden Form an, um die wirtschaftliche Grundlage zu erhalten und sich den stetig ändernden Anforderungen im Gesundheitswesen gemeinsam zu stellen.

Diesem Streben sowie dem dauerhaften Erhalt der Standorte C und I soll der Zusammenschluß unter dem Dach der selbständigen Stiftung dienen. Die Stiftung wir im Sinne der Diakonie der evangelischen Kirche in praktischer Betätigung christlicher Nächstenliebe unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Erfordernisse betrieben.

[...]

§ 2

Stiftungszweck

1. Zweck der Stiftung ist die Förderung der Bildung und Erziehung im Gesundheitswesen, der Religion, des öffentlichen Gesundheitswesens sowie der Alten- und Krankenpflege.

[...]

4. Die Stiftung ist Mitglied des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche von Westfalen - Landesverband der Inneren Mission - e.V. und dadurch dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. als anerkanntem Spitzenverband der freien Wohlfahr...

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