Entscheidungsstichwort (Thema)

Verdachtskündigung

 

Leitsatz (amtlich)

Wird nach Ausspruch einer Kündigung wegen des Verdachts einer Straftat das wegen des Verdachts der Straftat gegen den Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, und ist zu diesem Zeitpunkt der Kündigungsschutzprozeß noch nicht beendet, ist auf Unwirksamkeit der Verdachtskündigung zu erkennen ohne Rücksicht darauf, daß zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung alle Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung erfüllt waren. Es ist dabei nicht zu unterscheiden zwischen einer Einstellung „wegen erwiesener Unschuld” und einer Einstellung „mangels Beweises”.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Oberhausen (Urteil vom 05.12.1995; Aktenzeichen 3 Ca 1650/95)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.08.1997; Aktenzeichen 2 AZR 620/96)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 05.12.1995 – 3 Ca 1650/95 – abgeändert:

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch außerordentliche noch durch ordentliche Kündigung vom 17.07.1995 beendet worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen als Innenreinigerin weiterzubeschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die am 26.08.1940 geborene Klägerin war ab 21.05.1979 für die Beklagte, die sich mit Gebäudereinigung befaßt, als Reinigungskraft tätig. Die Arbeitszeit der Klägerin belief sich auf vier Stunden täglich in einer Sechs-Tage-Woche, sie erhielt zuletzt 13,46 DM brutto pro Stunde.

Die Beklagte setzte die Klägerin im M. hospital G. ein. Die Klägerin hatte dort während der Nachtstunden Reinigungsarbeiten durchzuführen in der Kardiologie, in der Nuklearmedizin und in der Orthopädie.

Nachdem die Verwaltung des M. hospitals Fehlbestände im Lager festgestellt hatte, wurde dort eine Videokamera installiert. Durch diese Videokamera wurde die Klägerin am 07.07.1995 um 2.19 Uhr aufgenommen, als sie durch eine Seitentür ins Lager trat und dort einen Karton mit Pampers entnahm. Darüber wurde die Klägerin am 11.07.1995 informiert. Am 13.07.1995 wurde von der Beklagten eine von ihr so bezeichnete Anhörung der Klägerin durchgeführt. Ab 14.07.1995 erschien die Klägerin nicht mehr zur Arbeit wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit.

Die Beklagte hatte sich zum Ausspruch einer Kündigung gegenüber der Klägerin entschlossen. Sie hörte dazu den bei ihr bestehenden Betriebsrat durch Schreiben vom 11.07.1995 an. Die Beklagte führte aus, sie beabsichtige den Ausspruch einer fristlosen Kündigung, die Kündigung sei aus folgenden Gründen erforderlich:

„Am 07.07. gegen 2.17 Uhr wurde durch eine Video-Aufnahme festgestellt, daß unsere Mitarbeiterin Pampers gestohlen hat. Videofilm liegt vor. Mutmaßlicher Diebstahl.”

Der Betriebsrat teilte am 18.07.1995 schriftlich mit, man habe gegen die beabsichtigte außerordentliche Kündigung keine Bedenken, es werde kein Widerspruch erhoben.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Klägerin mit einem am 17.07.1995 zugegangenen Schreiben vom 17.07.1995 fristlos.

Das gegen die Klägerin seitens der Staatsanwaltschaft Essen eingeleitete Ermittlungsverfahren ist durch Verfügung vom 15.09.1995 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer am 25.07.1995 beim Arbeitsgericht Oberhausen eingegangenen Klage gegen die Kündigung vom 17.07.1995 und begehrt auch ihre Weiterbeschäftigung.

Die Klägerin hat folgendes vorgetragen:

Es gebe keinen Kündigungsgrund. Daß sie den Karton mit Pampers aus dem Lager entnommen habe, könne ihr nicht vorgeworfen werden. Sie habe zur Durchführung ihrer Reinigungsarbeiten einen Mopvorsatz benötigt. Sie habe sich – so ihr erster Vortrag – zum Waschraum begeben müssen, weil alle Mopvorsätze verdreckt gewesen seien und deshalb in der Waschmaschine hätten gereinigt werden müssen; am 07.07.1995 – so späterer Vortrag der Klägerin – hätten vor dem Aufzug verschmutzte Mopvorsätze in einer Karre gelegen, sie habe aus diesem gegebenen Anlaß die Mopvorsätze im Waschraum waschen wollen, wie sie das fast täglich gemacht habe. Allerdings sei richtig, daß man auf dem Weg zum Waschraum normalerweise nicht an den Lagertüren vorbeikomme. Als sie doch in einer Entfernung von ca. zehn Metern an der hier in Frage stehenden Seitentür zum Lager vorbeigekommen sei, habe im Gangbereich vor der Eingangstür zum Lager eine Frau im weißen Kittel gestanden, die sie für eine Krankenschwester oder ähnliches gehalten habe. Die Frau sei damit beschäftigt gewesen, eine mit Kindernahrung voll beladene Sperrholzkarre auszubalancieren, weil an der Karre ein Rad abgebrochen gewesen sei. Die Frau habe sie gefragt, ob sie – die Klägerin – ihr nicht noch ein Paket Windeln aus dem Lager holen könne; die Frau habe gesagt, sie könne mit der Karre nicht ins Lager fahren, die Windelpakete seien direkt links h...

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