Entscheidungsstichwort (Thema)

Kriterien für Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung im Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG. Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat im Konsultationsverfahren. Unwirksamkeit der Kündigung bei Verletzung der Unterrichtungspflicht gegenüber dem Betriebsrat

 

Leitsatz (amtlich)

Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 KSchG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat im Rahmen der Konsultation schriftlich über die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer zu unterrichten. Beabsichtigt der Arbeitgeber, in wesentlichem Umfang von den Kriterien der Sozialauswahl abzuweichen, die er dem Betriebsrat bei Einleitung des Konsultationsverfahrens mitgeteilt hat, muss er den Betriebsrat hiervon unterrichten. Unterlässt er dies, ist eine nach den veränderten Kriterien für die Sozialauswahl ausgesprochene Kündigung wegen Verletzung der Unterrichtungspflicht unwirksam.

 

Normenkette

KSchG § 17 Abs. 2 S. 1; BetrVG § 102 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 07.09.2021; Aktenzeichen 5 Ca 1874/21)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 07.09.2021 - 5 Ca 1874/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten "außerordentlich, betriebsbedingt mit sozialer Auslauffrist" ausgesprochenen Kündigung, die Erteilung eines Zwischenzeugnisses und die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine aus der früheren I. Fluggesellschaft mbH hervorgegangene, international agierende deutsche Fluggesellschaft mit Sitz in I.-M.. Sie beschäftigte (Stand 16.04.2021) 2.151 Mitarbeiter, wovon 527 dem Cockpitpersonal angehörten. Auf Grundlage des zwischen der Beklagten und der Vereinigung Cockpit e. V. geschlossenen Tarifvertrags für das Cockpitpersonal vom 31.10./26.11.2012 (im Folgenden: TV PV Cockpit) ist bei ihr eine Personalvertretung für das Cockpitpersonal gebildet. Entsprechendes gilt für das Kabinenpersonal. Es besteht zudem eine Gesamtvertretung Bord nach § 28 TV PV Cockpit. Der im Juni 1969 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit dem 04.09.2000 als Kapitän zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von zuletzt 14.340,48 € beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildet der Arbeitsvertrag vom 24.10.2000 (Anlage K 1, Bl. 12 ff. d. A.), wobei zum 01.12.2016 eine Umstationierung nach E. stattfand (Anlage K 3, Bl. 23 d. A.).

Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag Nr. 6 für das Cockpitpersonal der U. GmbH vom 05.03.2021 (im Folgenden: MTV Cockpit) Anwendung. In diesem heißt es:

"§ 33

Kündigungsfristen

(1) Es gelten beiderseitig folgende Kündigungsfristen:

bis zu 1 Jahr Betriebszugehörigkeit 4 Wochen zum ...

...

nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit 9 Monate zum Ende des Quartals

(2) Nach einer ununterbrochenen Beschäftigungsdauer von 15 Jahren kann eine Kündigung durch den Arbeitgeber nur noch aus wichtigem Grund erfolgen.

Als wichtiger Grund gilt auch eine Betriebsänderung nach § 66 TV PV für das Cockpitpersonal. Als wichtiger Grund gilt ferner ein Lizenzverlust oder dauernde Flugdienstuntauglichkeit."

In einer Protokollnotiz zum MTV Nr. 6 vom 05.03.2021 (Bl. 690 f. d. A.) hat sich die Beklagte verpflichtet, bis zum 31.12.2022 einen Personalbestand von mindestens 370 Köpfen im Bereich des Cockpitpersonals beizubehalten.

Am 05.03.2021 schloss die Beklagte mit der Gesamtvertretung Bord einen Interessenausgleich (Anlage K 10, Bl. 80 ff. d. A.), der auszugsweise folgenden Inhalt hat:

"§ 2

Ausgangslage

...

Um den Fortbestand der U. zu ermöglichen, ist eine Restrukturierung des Flugbetriebes der U. und dabei insbes. eine Verkleinerung der U.-Flotte zur Steigerung der Produktivität pro Flugzeug und zur Minimierung der erheblichen Verluste aus der Saisonalität aus Sicht von U. unvermeidbar. ...

§ 3

Geplante Betriebsänderung und Auswirkung auf die Arbeitsverhältnisse

U. wird ihre Flotte auf 22 Flugzeuge reduzieren und sechs ihrer derzeit unterhaltenen Stationen vollständig und dauerhaft schließen, d. h. an diesen Stationen wird kein U.-Fluggerät mehr stationiert. Durch die Flottenreduzierung, Stationsschließungen und Neustrukturierung des Streckennetzes ergibt sich ein Personalüberhang über alle Mitarbeitergruppen, die in den Geltungsbereich dieses Interessenausgleichs fallen.

1. Geplante Maßnahmen mit Auswirkungen auf das fliegende Personal

1.1. Flottenreduzierung auf 22 A/C

Die U. wird ihre derzeit betriebene Flotte schrittweise jeweils zu den nächst möglichen Zeitpunkten auf 22 Flugzeuge (A/C) reduzieren (nachfolgend: die Flottenreduzierung). Die Flottenreduzierung erfolgt teilweise durch Verschiebung der Flugzeuge innerhalb der U.-Gruppe, im Übrigen durch Ausflottung (Phase-Outs).

Die Zielgröße von 22 Flugze...

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