Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegezeiten. Außendienstmitarbeiter. Keine Anrechnung fiktiver Wegezeiten zur Betriebsstätte auf die Arbeitszeit, wenn keine Betriebsstätte vorhanden ist

 

Leitsatz (amtlich)

Beginnt ein Kundendienstmonteur mit seiner vergütungspflichtigen Arbeit in seinem Home-Office, können die Fahrzeiten vom Home-Office zum ersten Kunden bzw. vom letzten Kunden zurück als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen sein, denn die Benutzung und Steuerung des Kundendienstfahrzeuges ist zur Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit erforderlich und liegt im ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber seine Betriebsstätte aufgelöst hat und alle Monteure nur noch vom Home-Office aus arbeiten. Die Anrechnung einer fiktiv ersparten Wegezeit wegen der Auflösung der Betriebsstätte erfolgt nicht.

 

Normenkette

BGB § 611 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wesel (Urteil vom 06.07.2006; Aktenzeichen 6 Ca 480/06)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 22.04.2009; Aktenzeichen 5 AZR 292/08)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Wesel vom06.07.2006 – 6 Ca 480/06 – teilweise abgeändert:

  1. Die Beklagte wird verurteilt,

    1. an den Kläger 1.390,61 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2006 zu zahlen.
    2. an den Kläger 690,98 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2006 zu zahlen.
    3. an den Kläger 333,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2006 zu zahlen.
  2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 53 %, die Beklagte zu 47 % zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Klage macht der Kläger Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche geltend, nachdem die Beklagte ihre bisherige Niederlassung geschlossen und dem Kläger ein Home-Office eingerichtet hat.

Der am 22.02.1949 geborene Kläger ist seit dem 11.03.1968 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin im Kundendienst, zuletzt als Außendienstmitarbeiter, beschäftigt. Seit seiner Einstellung war er ausschließlich in der Niederlassung X. eingesetzt. Sämtliche Kundenbesuche führte er von dieser Niederlassung aus durch, wobei die gesamte Fahrzeit des Klägers als Arbeitszeit anerkannt und vergütet worden ist. Seine durchschnittliche monatliche Arbeitszeit betrug 163 Stunden zu einem monatlichen Bruttolohn in Höhe von 2.714,23 EUR.

Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel Anwendung.

Die Fahrzeit des Klägers von seiner Wohnung zur Niederlassung X. betrug etwa 20 Minuten. Seit dem Jahr 2000 konnte der Kläger für die Fahrten von der Wohnung zur Niederlassung ein Dienstfahrzeug benutzen.

Im Rahmen einer bundesweiten Umstrukturierungsmaßnahme löste die Beklagte die Niederlassung in X. zum Ende des Jahres 2004 auf und entschied sich dafür, für ihre Techniker jeweils ein Home-Office einzurichten.

Mit einem Rundschreiben vom 24.09.2004 informierte die Beklagte die Mitarbeiter über die anstehende Umstrukturierung, Eine Information über die Einrichtung von Home-Offices war in diesem Schreiben allerdings nicht enthalten. Wegen des Inhalts der Mitteilung im Einzelnen wird auf Bl. 309 der Akte Bezug genommen.

Unter dem Datum vom 10.12.2004 schloss die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat eine „Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) zum Einsatz des mobilen AMS” mit Wirkung zum 01.01.2005.

Ausweislich Ziffer 2. der GBV sollte es mit Einsatz der Technologie „AMS mobil” möglich sein, dass der Techniker seine jeweilige Tagestour unabhängig von der Niederlassungsstruktur der Firma beginnen, beenden und abbrechen kann, indem alle wesentlichen Daten dem Techniker auf ein ihm zur Verfügung zu stellendes Notebook überspielt werden sollten.

Ziffer 3. der GBV lautet wie folgt:

„Ausgleichsregelungen”

1. Bei der Tätigkeit der Fahr-Außendienst-Techniker handelt es sich um eine Einsatzwechseltätigkeit. Der Arbeitseinsatz erfolgt beim Kunden.

Die Arbeitszeit der Fahr-Außendienst-Techniker beginnt beim ersten Kunden und endet beim letzten Kunden. Anfahrt und Abfahrt zur Arbeit liegen grundsätzlich in der Obliegenheit des Mitarbeiters. Für den Fall, dass es der Firma nicht gelingt, den ersten und letzten Kunden für den Techniker wohnortnah zu disponieren, gilt folgendes:

Eine Fahrzeit von 30 Minuten ab der Wohnung des Technikers zum ersten Kunden gilt als zumutbar für den Mitarbeiter. Darüber hinausgehende Anfahrtzeit ist dann Arbeitszeit. Analog gilt bei der Rückfahrt vom letzten Kunden: 30 Minuten sind zumutbar und darüber hinausgehende Fahrtzeit gilt als Arbeitszeit.

2. Als Ausgleich für besondere Aufwände des jeweiligen Fahr-Außendienst-Technikers und für die Bereitschaft zur Vornahme des Datentransfers in der Wohnung werden dem jeweiligen Fahr-Außendienst-Techniker monatlich 30,– EUR gezahlt. Diese Aufwandsentschädigung wird neben der monatlichen Zahlung der Firma für die T-DSL-Leitung gezahlt. Vor-...

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