Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilweise Unleserlichkeit von Teilen des unstreitigen Urteilstatbestands. formlose Übersendung einer weiteren, vollständig lesbaren Urteilsausfertigung mit Rechtsmittelbelehrung. neue Berufungsfrist?

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Urteil ist im Sinne des § 517 ZPO auch dann „in vollständiger Form abgefasst”, wenn auf der zugestellten Urteilsausfertigung die Zeilen einer Seite des unstreitigen Tatbestandes nicht vollständig lesbar sind. Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich bei den fraglichen Zeilen erkennbar um die wörtliche Wiedergabe von schriftsätzlichem Parteivortrag handelt.

2. Übersendet die Geschäftsstelle auf telefonische Beanstandung einer Partei hin eine weitere, vollständig lesbare Urteilsausfertigung, wird hierdurch eine neue Berufungsfrist jedenfalls dann nicht ausgelöst, wenn die Übersendung formlos ohne Empfangsbekenntnis geschieht.

 

Normenkette

ZPO § 174 Abs. 1 Sätze 1-2, § 517

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 24.09.2002; Aktenzeichen 39 Ca 34522/00)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. September 2002 – 39 Ca 34522/00 – wird – unter gleichzeitiger Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages vom 21. Januar 2003 – auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 30. Juni 2001 zu gewährenden Vorruhestandsgeldes und die Zahlung einer Jubiläumszuwendung. Der Streit geht insbesondere darum, ob die vom Kläger beim VEB Z. Berlin sowie beim VEB G. Berlin zurückgelegten Beschäftigungszeiten (11. August 1958 – 31. Dezember 1978) als Beschäftigungszeiten bei der Beklagten im Sinne der tariflichen Bestimmungen über die Höhe des Vorruhestandsgeldes (§ 5 lit. a TV über den Vorruhestand für die Beschäftigten der Beklagten) und über die Jubiläumszuwendung (§ 13 lit. b MTV für die Beschäftigten der Beklagten) anzuerkennen sind. § 2 des insoweit maßgeblichen „Integrations-Tarifvertrages” vom 4. August 1995 (Bl. 55 ff. d. A.) enthält dazu folgende Regelung:

„§ 1 Betriebzugehörigkeit

  1. Auf die festzustellende Betriebszugehörigkeit oder Beschäfti gungszeit werden ausschließlich Zeiten angerechnet, die der Arbeitnehmer ohne Unterbrechung in einem Arbeitsverhältnis mit der EB. bzw. deren Rechtsvorgänger (VEB E., VEB En. Berlin und BE.) erbracht hat.
  2. Soweit aufgrund früherer Rechtsvorschriften oder Individualfest- legungen andere, insbesondere frühere Termine im Sinne der Nr. 1 für den Beginn von Anspruchsfristen festgelegt wurden, gelten diese Termine nicht mehr. …”

Der Kläger ist der Auffassung, die Tarifvertragsparteien hätten mit der Aussparung des VEB G. Berlin aus der Kette der Rechtsvorgänger der Beklagten im Zusammenhang mit der Regelung über anrechnungsfähige Beschäftigungszeiten ihren verfassungsrechtlich garantierten Regelungsspielraum überschritten, insbesondere den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verletzt; die eingangs genannten Beschäftigungszeiten müssten ihm ebenso anerkannt werden, wie wenn er die gesamte Zeit über bei der Beklagten gearbeitet hätte.

Durch Urteil vom 24. September 2002, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz Bezug genommen wird (Bl. 101 ff. d. A.), hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage mit dem Antrag,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 23.797,57 EUR zuzüg- lich 4 % Zinsen von 19.435,23 EUR seit dem 28. Oktober 2000 und von je 727,06 EUR seit dem 01.01., 01.02., 01.03., 01.04., 01.05. und 01.06.2001 zu zahlen,

abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung: Mit der Eingrenzung der anrechnungsfähigen Betriebszugehörigkeit für den Vorruhestand wie auch für die Jubiläumszuwendung hätten die Tarifparteien nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Im Hinblick auf das vorrangig zu beachtende Grundrecht der Koalitionsfreiheit seien die Tarifparteien bis zur Grenze der Willkür frei, in eigener Selbstbestimmung den persönlichen Geltungsbereich ihrer Tarifregelungen festzulegen. Die Grenze der Willkür sei erst überschritten, wenn die Differenzierung im persönlichen Geltungsbereich unter keinem Gesichtspunkt auch koalitionspolitischer Art plausibel erklärbar sei, was vorliegend keinesfalls angenommen werden könne. Bei der Energieversorgung mit Gas und Strom handele es sich um zwei unterschiedliche Betriebszwecke, an die auch tarifrechtlich unterschiedlich angeknüpft werden dürfe. Nach der Fusion der EB. mit der Beklagten seien die Grundsätze des § 613 a BGB anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwinge aber diese Vorschrift den Arbeitgeber gerade nicht zur Berücksichtigung von Zeiten der Betriebszugehörigkeit, die Arbeitnehmer beim Rechtsvorgänger zurückgelegt hätten, vielmehr dürfe der Arbeitgeber zwischen den alten „Stammarbeitnehmern” und den übernommenen Arbeitnehmern differenzieren. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen (Bl. 106 ff. d. A.).

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