Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Versetzung einer einem Behinderten gleichgestellten Person mangels Anhörung. Überschreitung des Direktionsrechts nach § 106 GewO wegen Nichtbezeichnung der behindertengerechten Arbeitsaufgaben. Anspruch auf Unterlassung der Stellenbesetzung. Unterlassung einer kommissarischen Stellenbesetzung. Kein Anspruch auf Fortsetzung des bEM-Verfahrens

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Versetzung eines Redakteurs bei einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt, der einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist. ist wegen Verstoß gegen das Direktionsrecht nach § 106 GewO unwirksam.

2. Es besteht kein Zwang zur einheitlichen Verfolgung von einem Neubescheidungsanspruch und einem Antrag auf Unterlassung der Stellenbesetzung.

3. Ein Anspruch auf Fortsetzung des bEM-Verfahrens besteht mangels Unbestimmtheit nicht. Denn dies lässt nicht erkennen, wie das bEM-Verfahren im Einzelnen durchgeführt werden soll.

 

Normenkette

GewO § 106; GG Art. 33 Abs. 2; ArbSchG § 5; GG Art. 5; ZPO § 92 Abs. 1, § 156 Abs. 2, § 253 Abs. 2, § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.09.2022; Aktenzeichen 56 Ca 2937/21)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. September 2022 - 56 Ca 2937/21 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass die Umsetzung der Klägerin mit Schreiben der Beklagten vom 25. Mai 2022 in den Bereich "Culture Online" unwirksam ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin als Redakteurin in der Abteilung Lateinamerika zu beschäftigen.

3. Der Beklagten wird aufgegeben, die kommissarische Besetzung der Stelle "Redakteur*in (w/m/d) für die Abteilung Documentaries" zur Stellenausschreibung VG 1292 mit Frau A rückgängig zu machen und es wird ihr untersagt, die bezeichnete Stelle mit Frau A oder einer anderen Bewerberin oder einem anderen Bewerber endgültig oder kommissarisch zu besetzen, solange nicht über die Bewerbung der Klägerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden worden ist und bevor nicht zwei Wochen seit der Mitteilung der Entscheidung über das Auswahlergebnis verstrichen sind.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 55% und die Beklagte 45% zu tragen, von den Kosten des Verfahrens erster Instanz die Klägerin 45% und die Beklagte 55%.

III. Die Revision wird für die Beklagte hinsichtlich der Verurteilung zu I. 3. zugelassen.

Im Übrigen wird die Revision für beide Parteien nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Unwirksamkeit einer Umsetzung, die Untersagung einer umsetzungsgemäßen Beschäftigung und die Verpflichtung zu anderweitigen Beschäftigungen, die Fortsetzung oder Neueinleitung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) sowie die Rückgängigmachung und die Untersagung einer Stellenbesetzung bis zur Neubescheidung der Bewerbung der Klägerin.

Die Klägerin ist in 1973 geboren und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Die Beklagte bietet als gemeinnützige Anstalt des öffentlichen Rechts für das Ausland Hörfunk, Fernsehen und Telemedien an. Sie beschäftigt die Klägerin seit dem 1. September 2000 zunächst als Volontärin und seit dem 1. Oktober 2002 als Redakteurin.

Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge Deutsche Welle (DW) Anwendung. Im Manteltarifvertrag vom 6. Dezember 1979 heißt es:

"330 Umsetzung / Versetzung / Abordnung

331 Der/die Arbeitnehmer/in kann aus betrieblichen Gründen umgesetzt oder abgeordnet werden.

331.1 Eine Umsetzung liegt vor, wenn der/die Arbeitnehmer/in seinen/ihren Arbeitsplatz unter Beibehaltung der Dienststelle, aber unter Änderung der Abteilung oder Redaktion wechselt. ...

332.1 Die DW wird dem/der Arbeitnehmer/in eine vorgesehene Umsetzung ... bekannt geben. Der/die Arbeitnehmer/in ist vorher zu hören. ...

332.3 Macht der/die Arbeitnehmer/in bei der Anhörung gemäß TZ 332.1 Satz 2 triftige Gründe dafür geltend, dass seine/ihre Abordnung für ihn/sie eine Härte bedeutet, muss er/sie nach Möglichkeit nach 3 Monaten, spätestens nach 6 Monaten abgelöst werden."

Der Vergütungstarifvertrag vom 23. Dezember 1964 zählt den/die Redakteur(-in) unter die Vergütungsgruppe V.

Bei der Beklagten gilt die am 4. Mai 2020 abgeschlossene "Dienstvereinbarung Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)", Anlage K34, Bl. 295ff dA. Dort heißt es:

"3.4.5 Verfahrensabschluss

Das BEM-Verfahren kann von der Abteilung Human Resources als beendet erklärt werden, wenn

a) die veranlasste/n BEM-Maßnahme/n umgesetzt und als erfolgreich bewertet worden ist/sind,

b) oder die Maßnahme/n ggf. nach weiteren Klärungsversuchen dennoch als nicht erfolgreich bewertet wurde/n,

c) oder nach dem Fall- oder Integrationsgespräch (einvernehmlich oder nicht einvernehmlich) festgestellt wurde, dass keine Maßnahme möglich oder notwendig ist (Ziff. 3.4.4).

Die Abteilung Human Resources teilt dem/der Mitarbeiter/-in den Fällen a) bis c) mit, dass das BEM beendet is...

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