Entscheidungsstichwort (Thema)

Entfernung einer "Ermahnung" aus der Personalakte bei fehlender Rügeberechtigung der Arbeitgeberin infolge unwirksamer Arbeitnehmerüberlassung. Zustandekommen eines Arbeitsvertrages mit der Entleiherin bei erlaubniswidriger dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung. Überschreitung des Direktionsrechts durch rechtswidrige Weisung an Leiharbeitnehmer zu streikbrechender Arbeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis deckt nicht eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung an einen Entleiher.

2. Eine Überlassung von Arbeitnehmern ist nicht mehr nur vorübergehend, wenn dadurch ein Dauerbeschäftigungsbedarf abgedeckt wird. Das Merkmal "vorübergehend" ist arbeitsplatzbezogen, nicht personenbezogen.

3. Folge der nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung ist die Unwirksamkeit des Überlassungsvertrags, sowie des Arbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG, sowie die Fiktion des Zustandekommens eines Arbeitsvertrags zwischen Arbeitnehmer und Entleiher nach § 10 Satz 1 AÜG.

4. Das Leistungsverweigerungsrecht des § 11 Abs. 5 AÜG schützt nur vor einem Einsatz beim bestreikten Entleiher, nicht vor einem Einsatz beim nicht bestreikten Verleiher.

5. Übernimmt ein Drittunternehmen (hier der Verleiher) vom bestreikten Unternehmen (hier der Entleiher) die bestreikte Produktion/Dienstleistung, kann der Arbeitnehmer des streikbrechenden Drittunternehmens die Arbeitsleistung nach den Grundsätzen, wie sie bei "direkter Streikarbeit" gelten, verweigern..

 

Normenkette

BGB §§ 242, 611 Abs. 1, § 1004; GewO § 106; AÜG § 1 Abs. 1 S. 2, § 9 Nr. 1 Alt. 1, § 9 Nr. 1 Alt. 2, § 10 Abs. 1 S. 1, § 11 Abs. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Ulm (Entscheidung vom 01.02.2013; Aktenzeichen 3 Ca 304/12)

 

Tenor

  • 1.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 01.02.2013 (3 Ca 304/12) wird zurückgewiesen.

  • 2.

    Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

  • 3.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch über die Verpflichtung der Beklagten zur Entfernung einer "Ermahnung" aus der Personalakte des Klägers.

Der Kläger ist bei der Beklagten beschäftigt als Busfahrer seit 01.10.1993 zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von zuletzt durchschnittlich ca. 2.700,- €.

Die Städte U. und N. sind Gesellschafter der S. GmbH. Diese wiederum ist mit einem Gesellschaftsanteil von 100% Gesellschafterin der S.V. GmbH, die hiesige Beklagte, und der S.N. GmbH. Geschäftsführer beider Gesellschaften ist Herr W.. Die Beklagte betreibt und unterhält die für den öffentlichen Personennahverkehr in den Städten U. und N. erforderliche Infrastruktur und Netze (Schienenanlagen, Haltestellen und dergleichen). Vor 2006 erbrachte die Beklagte auch die Verkehrsdienstleistungen in den Stadtgebieten der beiden Städte. Um unter Beachtung europäischer Vergabevorschriften die Direktvergabe von Fahrdienstleistungen (weiterhin) ermöglichen zu können, wurde die S.N. GmbH gegründet. Diese wurde fortan ab 2006 als sogenannte "interne Betreiberin" mit der Erbringung öffentlicher Personenverkehrsdienste von den Städten U. und N. betraut. Diese Betrauung wurde schriftlich fixiert mit einem sogenannten "Betrauungsauftrag" vom 26.11.2009 (Bl. 58-64 der ArbG-Akte), welcher eine Laufzeit bis 31.12.2019 hat. Im Rahmen dieses "Betrauungsauftrags" verpflichteten sich die beiden Städte, über ihre Gesellschafterstellung dafür Sorge zu tragen, dass die Beklagte der S.N. GmbH die Infrastruktur zu einem marktverträglichen Entgelt zur Verfügung stellt. Die S.N. GmbH verfügt jedoch weder über Fahrpersonal, noch über Fahrzeuge, um den ihr übertragenen Auftrag zur Erbringung von Fahrdienstleistungen erfüllen zu können. Sie beauftragte deshalb ab 2006 die Firma S.M.N.S. GmbH (nachfolgend: S.M.) mit Sitz in B. bei A. mit der Erbringung dieser Fahrdienstleistungen. Die Gesellschaftsanteile der S.M. liegen wiederum zu 51,17% bei der Beklagten. Die S.M. ist Mitglied im Landesverband bayerischer Omnibusunternehmen e.V. (LBO) und an die von diesem Verband geschlossenen (billigeren) bayerischen Tarifverträge gebunden. Sie unterhält zur Erfüllung des übertragenen Dienstleistungsauftrags ein Büro im bayerischen N.. Im Zuge der Übertragung der Fahrdienstleistungen ab 2006 vermietete die Beklagte Fahrzeuge an die S.M.. Die im Fahrdienst tätigen Mitarbeiter der Beklagten wurden von dieser über einen (Teil-)Betriebsübergang unterrichtet. Alle Fahrdienstmitarbeiter widersprachen einem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf die S.M.. Dies diente (mit der Beklagten abgesprochen) der Aufrechterhaltung der tariflichen Ansprüche nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes. In diesem Zusammenhang vereinbarten aber alle Mitarbeiter, so auch der Kläger, mit der Beklagten eine "Ergänzung des Arbeitsvertrages" vom 04.08.2006 (Bl. 7-8 der ArbG-Akte), wonach sich die Arbeitnehmer verpflichteten, ihre Arbeitstätigkeit im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung auch bei der S.M. zu erbringen. Die Beklagte verlieh ihr Fahrpersonal s...

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