Entscheidungsstichwort (Thema)

Unionsrechtliche Auslegung der Verjährungsvorschriften bei der Urlaubsabgeltung. Frühester Beginn der Verjährung des Urlaubsentgeltanspruchs mit dem Ende der Elternzeit. Elternzeit als unverschuldetes Arbeitsversäumnis i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG. Kürzungsbefugnisse des Arbeitgebers beim Erholungsurlaub nach dem BEEG. Keine Kürzung des Urlaubs nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB verlangt, dass die Verjährung erst mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nachgekommen ist (vgl. auch BAG 20. Dezember 2022 - 9 AZR 266/20 nach EuGH 22. September 2022 - C-120/21).

2. Die Verjährung des Urlaubsanspruches kann frühestens mit dem Ende der Elternzeit beginnen (Anschluss an LAG Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 15. November 2019 - 9 Sa 47/19 - Rn. 32 und BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - Rn. 12 ff.). Denn der Arbeitnehmer soll seinen vor und während der Elternzeit erworbenen Urlaub nach der Elternzeit auch nehmen können.

3. Da bei der Elternzeit die beiderseitigen Rechte und Pflichten suspendiert sind, liegt ein Fall der unverschuldeten Arbeitsversäumnis nach § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrIG vor.

4. Die Auffassung, eine Kürzung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG müsse auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich sein, das Bundesarbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung vom 19. Mai 2015 (9 AZR 725/13) nicht beachtet, dass der historische Gesetzgeber bei Abfassung des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG noch die Surrogationstheorie vor Augen gehabt habe, überzeugt nicht, weil daraus kein Ergebnis, das gegen den Gesetzeswortlaut verstößt, abgeleitet werden kann.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Arbeitgeber kann nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr durch Kürzung des - nicht mehr vorhandenen - Urlaubsanspruchs eine Kürzung der Abgeltungsansprüche erreichen. Das Gesetz unterstellt in § 17 Abs. 1 BEEG allein den "Erholungsurlaub" der Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers, nicht dagegen den Abgeltungsanspruch.

 

Normenkette

BEEG § 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 2-3; BUrlG § 7 Abs. 3-4, § 11 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 194 ff.; RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1; BUrlG §§ 1, 5; EFZG § 1 Abs. 1; BEEG § 15; MuSchG § 24 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 10.02.2022; Aktenzeichen 9 Ca 158/21)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Lörrach - vom 10.02.2022 - 9 Ca 158/21 wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach der Elternzeit.

Die Klägerin war bei der Beklagten ab 1. Februar 2009 als Therapeutin zunächst in Vollzeit, ab Juni 2010 in Teilzeit mit 36 Wochenstunden, zuletzt an fünf Arbeitstagen in der Woche mit einer monatlichen Vergütung von 3.700,00 € brutto beschäftigt.

Ab 24. August 2015 war die Klägerin in Mutterschutz. Daran schlossen sich nahtlos eine Elternzeit für das erste Kind, ein weiterer Mutterschutz wegen einer zweiten Schwangerschaft und sodann direkt anschließend eine Elternzeit für das zweite Kind bis 25. November 2020 an. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis zum Ablauf dieser Elternzeit.

Aus dem Jahr 2015 war noch ein Resturlaubstag offen. Arbeitsvertraglich vereinbart ist ein jährlicher Urlaubsanspruch von 29 Tagen.

Mit ihrer am 21. Mai 2021 beim Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Lörrach - eingereichten Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 24.932,42 € brutto an sie nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. April 2021 zu bezahlen und vorgetragen, sie habe bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses einen offenen Urlaubsanspruch von insgesamt 146 Tagen (1 Tag aus 2015, je 29 Tage aus 2016 bis 2020) gehabt, welcher abzugelten sei. Wegen des Rechenwerks wird auf die Klageschrift erster Instanz, dort Seite 5 (= Abl. 5) Bezug genommen.

Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt, die Klage abzuweisen und vorgetragen, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Urlaubsabgeltung nach § 17 BEEG sei letzten Endes nicht richtig. Die gesetzliche Vorschrift sei auf der Basis der damals noch von der Rechtsprechung vertretenen Surrogationstheorie entstanden, so dass die Regelung dahin zu verstehen sei, dass nicht nur der Urlaubsanspruch während des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses, sondern auch der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst entstandene Urlaubsabgeltungsanspruch durch Erklärung des Arbeitgebers gekürzt werden könne.

Wenn dem Grunde nach überhaupt ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung bestehe, betrage dieser jedoch 0,00 €. Denn nach dem Referenzprinzip des § 11 BUrlG sei bei der Berechnung der Urlaubsvergütung der Verdienst in den letzten 13 Wochen vor Vertragsende zu Grunde zu legen. In dieser Zeit habe die Klägerin jedoch gar kein Einkommen gehabt.

Hinsichtlich etwai...

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