Leitsatz (amtlich)

1. Der in dem einzigen zulässigen Linksabbiegerfahrstreifen Nachfolgende darf dem Voranfahrenden dessen Recht, zwischen mehreren markierten Fahrstreifen der Straße, in die abgebogen wird, zu wählen, nicht vorzeitig durch starkes Beschleunigen streitig machen, sondern hat abzuwarten, bis sich der Voranfahrende endgültig eingeordnet hat.

2. Das Wahlrecht des Voranfahrenden endet erst mit seiner endgültigen Einordnung in einen Fahrstreifen, d.h. i.d.R. frühestens 15 bis 20 m nach dem Beginn der Fahrstreifenmarkierungen.

 

Normenkette

StVO § 1 II, § 7 V

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 41 O 46/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 31. Januar 2019 verkündete Urteil der Zivilkammer 41 des Landgerichts Berlin - 41 O 46/18 - geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger als gewillkürter Prozessstandschafter der (Sicherungs-) Eigentümerin begehrt von den Beklagten als Halterin, Haftpflichtversicherer und Fahrer wegen des Verkehrsunfalls am 7. November 2017 gegen 19.40 Uhr in der Reinickendorfer Straße in Berlin Schadenersatz, und zwar nach teilweiser Klagerücknahme in erster Instanz noch 13.199,31 EUR (ursprünglich 19.836,03 EUR), sowie Freistellung von Gutachtenkosten in Höhe von 1.617,80 EUR und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 442,50 EUR.

Der Zeuge El-Sayed stand als Fahrzeugführer mit dem Fahrzeug der Sicherungseigentümerin, einem Mercedes C 63 S AMG, auf der Fennstraße in südwestlicher Richtung hinter dem von dem Beklagten zu 3. geführten Fahrzeug, einem Kia Picanto 1.1 Spirit, in dem mit Pfeilen gekennzeichneten Linksabbiegerfahrstreifen. Der benachbarte Fahrstreifen ist mit Geradeauspfeilen versehen. Nach dem Anfahren und während oder nach dem Linksabbiegen in die Müllerstraße in Richtung Mitte überholte der Zeuge rechts, während der Beklagte zu 3. in den rechten Fahrstreifen einfuhr. Streitig ist, ob - so behaupten die Beklagten - der Unfall in Höhe der Fußgängerfurt oder - so behauptet der Kläger - etwas später in Höhe der Bushaltestelle stattfand. Zwischen der in Fahrtrichtung der Unfallbeteiligten gesehen hinteren Begrenzung der Fußgängerfurt und der Bushaltestelle (am Wartestand) liegen etwa 23 m. Der Kläger meint auf der Grundlage seiner Behauptung, der Beklagte zu 3. habe den Fahrstreifen gewechselt.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme dem Zahlungsantrag in Höhe von 11.976,15 EUR sowie den Freistellungsanträgen in Höhe von 929 EUR bzw. 412,60 EUR stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat gemeint, ein Fahrstreifenwechsel sei weder bewiesen noch widerlegt. Da zulasten der Sicherungseigentümerin die Haftung aus der Betriebsgefahr nicht anzurechnen sei, müssten die Beklagten aber in voller Höhe den Schaden ersetzen. Es hat gemeint, trotz Vorschadens ließe sich der Schaden vorliegend schätzen, und hat nur einige Abzüge vorgenommen.

Die Beklagten verfolgen mit der Berufung die Klageabweisung in vollem Umfang. Sie beanstanden zum einen, dass das Landgericht die dolo agit - Einrede zur Quote zu Unrecht nicht für durchgreifend erachtet habe, und zum anderen die Ausführungen zur Schadensschätzung.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung der Beklagten ist begründet und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, denn dem Kläger stehen gegen die Beklagten die in Prozessstandschaft für die Sicherungseigentümerin geltend gemachten Schadenersatz- bzw. Freistellungsansprüche gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 BGB; §§ 7, 17, 18 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG; § 421 BGB nicht zu, weil der Fahrer des Fahrzeuges des Klägers den Unfall allein verschuldete (§§ 9 StVG, 254 BGB). Auf den Umstand, dass sich der (Nur-) Eigentümer die Betriebsgefahr nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG nicht anrechnen lassen muss, kommt es daher schon nicht an.

Der Beklagte zu 3. handelte nicht sorgfaltswidrig, insbesondere verstieß er - anders als das Landgericht zu Unrecht gemeint hat - nicht gegen § 7 Abs. 5 StVO.

Er nahm - selbst die Version des Klägers zu dessen Gunsten unterstellt - keinen Fahrstreifenwechsel im Sinne von § 7 Abs. 5 StVO vor. Vielmehr stand ihm als Voranfahrendem noch das Wahlrecht zwischen den Fahrstreifen in der Müllerstraße zu, denn ein paralleles Abbiegen war vorliegend durch die Kennzeichnung der Fahrstreifen in der Fennstraße unzulässig. Der in dem einzigen zulässigen Linksabbiegerfahrstreifen Nachfolgende darf dem Voranfahrenden dessen Wahlrecht nicht vorzeitig durch starkes Beschleunigen streitig machen, sondern hat abzuwarten, bis sich der Voranfahrende endgültig eingeordnet hat. Diese Wahlfreiheit endet für das Abbiegen aus einem Fahrstreifen - ebenso wie bei zulässigem parallelem Abbiegen (vgl. dazu Kuhnke, Die Rechtslage bei paarweisem parallelem Abbiegen, NZV 2019, 223, 224 [II.3.]) oder bei Aufteilung eines Fahrstreifens in zwei Fahrstreifen (vgl...

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