Leitsatz (amtlich)

Die Berichterstattung über jugendliche Intensivtäter darf den Begriff "Straftat" nur für solche Handlungen strafunmündiger Kinder verwenden, die den Tatbestand einer Straftat in rechtswidriger Weise erfüllen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 22.05.2003; Aktenzeichen 27 O 210/03)

 

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 22.5.2003 verkündete Urteil des LG Berlin (LG Berlin, Urt. v. 22.5.2003 - 27 O 210/03) geändert:

Die einstweilige Verfügung vom 8.4.2003 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

Der Verfügungskläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte keinen Anspruch auf Unterlassung der beanstandeten Äußerung gem. §§ 823 Abs. 1 und 2, analog 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB, Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG.

Es fehlt jedenfalls an einem rechtswidrigen Eingriff in geschützte Rechte des Verfügungsklägers.

Bei der von ihm beanstandeten Äußerung handelt es sich um eine zumindest im Kern wahre Tatsachenbehauptung. Sie beinhaltet nicht die Feststellung, dass der Verfügungskläger insgesamt 80 Straftaten begangen hat, sondern dass er diese - entsprechend u.a. den Meldungen seriöser Nachrichtenagenturen und einer Äußerung des Innensenators - begangen haben soll.

Soweit der Verfügungskläger geltend macht, von 81 eingetragenen polizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Vorgängen seien die ersten 19 wegen Strafunmündigkeit gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, rechtfertigt das nicht die Annahme der Unwahrheit der Behauptung. Die Verfügungsbeklagte konnte auch insoweit von "Straftaten" schreiben. Dabei handelt es sich allenfalls um eine unwesentliche sprachliche Ungenauigkeit im juristischen Sinne. Strafunmündigkeit ist lediglich ein Verfahrenshindernis; Kinder handeln nicht schuldhaft. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie tatbestandsmäßige und rechtswidrige Taten begehen können (vgl. Eisenberg, JGG, 10. Aufl., § 1 Rz. 1; Ostendorf, Das Jugendstrafverfahren, 2. Aufl., S. 3). Die Verfügungsbeklagte konnte deshalb im Rahmen der konkreten Berichterstattung, die auf die Auseinandersetzung der Gesellschaft mit kriminellen Handlungen Jugendlicher hinwies, von "Straftaten" auch ohne ausdrückliche Erwähnung der Strafunmündigkeit in einigen Fällen schreiben, ohne die nicht zu überspannenden Anforderungen an die pressegemäße Sorgfalt zu verletzen (vgl. dazu auch BVerfGE 7, 198 [227]; BGH v. 12.5.1987 - VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = NJW 1987, 2225 [2226]; OLG Brandenburg v. 2.9.1998 - 1 U 4/98, OLGReport Brandenburg 1999, 219 = NJW 1999, 3339 [3342]).

Soweit der Verfügungskläger auf die Einstellung weiterer Verfahren verweist, hat die Verfügungsbeklagte diesem Umstand Rechnung getragen durch die Mitteilung, dass "die meisten Verfahren ... jedoch eingestellt" worden seien.

Die Frage, inwieweit Straftaten Minderjähriger Gegenstand der Presseberichterstattung sein dürfen, bedarf hier keiner Vertiefung, da sich die Verfügungsklägerin auf die Wiedergabe der Anzahl der angeblichen Straftaten des mittlerweile 20-jährigen Verfügungsklägers i.V.m. dem Hinweis darauf, dass die meisten Verfahren eingestellt worden sind, beschränkt und sie den wahren Namen des Verfügungsklägers nicht genannt hat. Identifizierbar war er dadurch allenfalls für einen begrenzten Leserkreis, dem seine "Justizbekanntschaften" ohnehin nur schwerlich verborgen geblieben sein können.

Demgegenüber bestand aus den vom LG genannten Gründen, auf die Bezug genommen wird, ein ganz erhebliches berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung, die sich zudem auf die Agenturmeldungen von dpa und ddp sowie auf eine Mitteilung des Innensenators stützen konnte (vgl. dazu auch Prinz/Peters, Medienrecht, Rz. 280).

Insgesamt überwiegt hier deshalb das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG das Schutzinteresse des Verfügungsklägers.

Eine Erklärungsfrist auf den lediglich eine Rechtsansicht wiedergebenden Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 15.3.2004 war dem Verfügungskläger nicht zu gewähren. Die Sach- und Rechtslage wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1235001

NJW-RR 2004, 843

DSB 2004, 24

KG-Report 2004, 516

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