Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 01.06.2006; Aktenzeichen (571) 14 Js 3851/05 Ns (81/06))

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 1. Juni 2006 im Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

  • 2.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Schöffengericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Auf die in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit dem angefochtenen Urteil die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, "auf den Rechtsfolgenausspruch" beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist begründet.

1.

Gegenstand der Prüfung des angefochtenen Urteils durch den Senat ist allein die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der erkannten Strafe zur Bewährung auszusetzen.

a)

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist auf die Aussetzungsentscheidung beschränkt.

Zwar hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung ausdrücklich erklärt, daß ihre zunächst uneingeschränkt eingelegte Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werde, und darauf hingewiesen, daß die nachstehenden - die Frage der Strafaussetzung betreffenden - Ausführungen "nur beispielhaft erfolgten". Auch lautet der Revisionsantrag uneingeschränkt dahingehend, "das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben ...". Jedoch ist bei der Ermittlung des Umfangs der Revision das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Gesamtheit ins Auge zu fassen; das Revisionsgericht darf nicht am Wortlaut der Begründung haften, sondern hat ihren Sinn zu ermitteln (vgl. BGHSt 29, 359, 365; BGH NJW 1997, 3322; Urteil vom 12. Februar 1998 - 4 StR 617/97 - bei JURIS; Kuckein in Karlsruher Kommentar, StPO 5. Aufl., § 344 Rdn. 5).

Die Auslegung des Revisionsvorbringens nach diesen Grundsätzen aber ergibt zweifelsfrei, daß die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung beschränken und die Festsetzung der Freiheitsstrafe nicht angreifen wollte. Die Begründung der Revision stützt sich ausschließlich auf Rechtsfehler bei der Anwendung des § 56 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 StGB und hat das erklärte Ziel, den Fortfall der Strafaussetzung zu erreichen. Mit Mängeln der Strafzumessung im engeren Sinne setzt sich der Rügevortrag dagegen nicht auseinander. Dies erscheint auch plausibel, da die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel ersichtlich zu Ungunsten des Angeklagten eingelegt hat, die festgesetzte Freiheitsstrafe aber wegen des Schlechterstellungsverbotes des § 331 Abs. 1 StPO, das als Sperre des erstinstanzlichen Urteils noch in der Revisionsinstanz fortwirkt (vgl. Ruß in KK, § 331 StPO Rdn. 9), nur noch zugunsten des Angeklagten abänderbar ist (vgl. KG, Urteil vom 11. November 2004 - (4) 1 Ss 454/03 (204/03) -). Eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt ergäbe im übrigen auch deshalb keinen Sinn, weil bereits die Berufung des Angeklagten wirksam auf diesen beschränkt war. Die Erklärung der Staatsanwaltschaft, sie beschränke das Rechtsmittel ihrerseits, muß eine weitergehende Bedeutung enthalten, da sie sonst nicht gestaltend wirkt (vgl. Senat, Urteil vom 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -).

b)

Die Beschränkung der Revision auf die Aussetzungsentscheidung ist wirksam.

aa)

Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist ein selbständiger Teil des Urteilsspruchs (§ 260 Abs. 4 Satz 4 StPO). Sie kann isoliert angefochten werden, wenn sich die ihr zugrunde liegenden Erwägungen von denen der Strafzumessung trennen lassen (vgl. BGH NStZ 1994, 449; 1982, 285, 286; OLG Köln VRS 61, 365, 366; Senat StV 1999, 605; Urteile vom 12. Mai 2004 - (5) 1 Ss 25/04 (16/04) - und 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., § 318 Rdn. 20a; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl., § 56 Rdn. 26).

An der Trennbarkeit fehlt es nicht schon dann, wenn sich die bei der Strafzumessung und der Aussetzungsentscheidung jeweils berücksichtigten Tatsachen überschneiden (vgl. OLG Frankfurt am Main VRS 59, 106, 108). Da beides eine Gesamtwürdigung erfordert, verknüpfen doppelrelevante Feststellungen diese beiden Entscheidungsbereiche regelmäßig; es ist offensichtlich und vom Gesetzgeber in § 46 Abs. 2 StGB einerseits und § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB andererseits vorgesehen, daß die Tatsachen, welche die Zumessung der Strafe im engeren Sinne mitbestimmen, auch für die Aussetzungsentscheidung wesentliche Bedeutung erlangen (vgl. OLG Köln VRS 61, 365, 367; Senat, Urte...

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