Leitsatz (amtlich)

Gegen den nachfolgenden Fahrer spricht der Beweis des ersten Anscheins nur dann, wenn es sich um einen "typischen" Auffahrunfall mit Teilüberdeckung vom Heck und Front handelt.

Fährt ein im linken Fahrstreifen nachfolgendes Fahrzeug gegen die linke Ecke des Hecks eines Fahrzeugs, das ebenfalls bereits im linken Fahrstreifen fuhr und zum Zwecke des Wendens lediglich schräg im Mittelstreifendurchbruch angehalten hatte, so kann daraus typischerweise nicht im Wege des Anscheinsbeweises geschlossen werden, der zum Wenden ansetzende habe Sorgfaltspflichten ggü. dem in demselben Fahrstreifen nachfolgenden Verkehr verletzt.

Bleibt nach einer derartigen Kollision ungeklärt, ob der Nachfolgende durch zu geringem Abstand, überhöhte Geschwindigkeit oder allgemeine Unaufmerksamkeit den Unfall verursacht hat oder ob sich der Unfall infolge eines sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsels des Wendenden ereignet hat, kommt eine Schadensteilung 50: 50 in Betracht.

Der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung ist nicht von der Art der Schadensabrechnung (Gutachtenbasis oder Reparaturkostenbasis) abhängig, sondern u.a. davon, dass dem Geschädigten der Gebrauch durch eine unfallbedingte Reparatur tatsächlich entzogen worden ist.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 19.10.2006; Aktenzeichen 58 O 26/06)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 19.10.2006 verkündete Urteil des LG Berlin - 58 O 26/06 - abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.376,26 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.9.2005 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben beide Parteien je zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg: Entgegen der Auffassung des LG ist die Klageforderung zur Hälfte nach §§ 7, 17 StVG, § 823 Abs. 1, 249 ff. BGB i.V.m. § 3 PflVG begründet, denn es handelt sich um einen ungeklärten Unfall mit der Folge, dass die Verursachungs- und Verschuldensanteile beider Seiten mit je 50 % anzusetzen sind.

I. Die Ersatzpflicht der Unfallbeteiligten hängt nach § 17 Abs. 1 StVG insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

Bleibt nach einer Kollision ungeklärt, ob der Nachfolgende durch zu geringen Abstand, überhöhte Geschwindigkeit oder allgemeine Unaufmerksamkeit den Unfall verursacht hat oder ob sich der Unfall infolge eines sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsels des Unfallgegners - möglicherweise noch in unmittelbarem Zusammenhang mit Anfahren vom Fahrbahnrand - ereignet hat, ist der Schaden regelmäßig hälftig zu teilen (vgl. KG, Urt. v. 26.8.2004 - 12 U 195/03, KGReport Berlin 2005, 99 = DAR 2005, 157 = VRS 108, 25 = VersR 2005, 1746 L).

II. Ein solcher Fall liegt hier vor. Zwischen den Parteien unstreitig ist lediglich die Kollision am 2.6.2005 gegen 17.30 Uhr auf der Müllerstraße in Berlin-Wedding zwischen dem Audi A 6 des Klägers und dem Toyota des Beklagten, ferner, dass der Audi dabei beschädigt worden ist. Die genauen Umstände sind jedoch weder unstreitig noch bewiesen. Eine weitere Aufklärung der Sache durch Beweisaufnahme ist nicht veranlasst.

1. Eine über eine Quote von 50 % hinausgehende Haftung des Beklagten ist nicht gerechtfertigt.

a) Die Auffassung des Klägers trifft nicht zu, der Anscheinsbeweis richte sich gegen den Zweitbeklagten, da dieser "auf ein vor ihm anhaltendes Fahrzeug aufgefahren ist" (S. 2 der Berufungsbegründung). Denn es handelt sich im Streitfall nicht um einen typischen Auffahrunfall.

Der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden wird nämlich nicht allein durch den bloßen Zusammenstoß mit dem Vorausfahrenden begründet (vgl. hierzu KG, Urteil vom 25.9.2003 - 12 U 34/02; Urt. v. 26.8.2004 - 12 U 195/03, KGReport Berlin 2005, 99 = DAR 2005, 157 = VRS 108, 25 = VersR 2005, 1746 L). Er kann vielmehr nur dann eingreifen, wenn bei den Fahrzeugen jedenfalls eine Teilüberdeckung von Heck und Front vorliegt (vgl. Senat, VM 1996 Nr. 8; VM 2004, 29 Nr. 26).

Dies ist hier nicht der Fall, weil bei dem streitgegenständlichen Zusammenstoß ausweislich des vom Kläger eingereichten Schadensgutachtens vom 8.6.2005 - lediglich der "Heckbereich links" einschließlich des linken Hinterreifen des AUDI A 6 des Klägers beschädigt wurde. Dies entspricht nicht der Kollisionsstellung, auf die sich ein Anscheinsbeweis gründet.

b) Es steht auch nicht fest, dass der Kläger - wie behauptet - vor der Kollision bereits fünf Sekunden gestanden hat.

Es ist schon nicht dargelegt, dass der Beklagte zu 2) Veranlassung und Möglichkeit gehabt hätte, sich rechtzeitig auf das Hindernis einzustellen und durch Bremsen oder Ausweichen eine Kollision zu verhindern. Darüber hinaus ist auch die behauptete Standzeit nicht bewiesen.

Formal und inhaltlich rechtsfehlerfrei hat das LG diese Darstellung unter Würdigung der schriftlichen Zeugenaussagen von ... und ... nic...

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