Entscheidungsstichwort (Thema)

Wenden auf einer Straße mit Mittelstreifen

 

Normenkette

BGB §§ 254, 847; StVG § 17 Abs. 1; StVO § 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 228/99)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin, die i.Ü. zurückgewiesen wird, wird das am 19.1.2000 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 12.449,09 DM nebst 4 % Zinsen von 8.229,09 DM seit dem 14.8.1998 und von weiteren 4.220 DM seit dem 23.6.1999 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 9 % und die Beklagten 91 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer übersteigt für keine Partei 60.000 DM.

 

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache im Wesentlichen Erfolg. Die Beklagten haben der Klägerin dem Grunde nach den gesamten unfallbedingten Schaden zu ersetzen. Lediglich der Höhe nach entfallen teilweise geltend gemachte Beträge. Die Beklagten schulden der Klägerin insgesamt 12.449,09 DM:

I. Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten für den gesamten unfallbedingten materiellen Schaden der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 3.7.1998 gegen 9.30 Uhr in Berlin-Spandau auf der nördlichen Richtungsfahrbahn der Ruhlebener Straße i.H.d. Grundstücks Nr. 23, und zwar in Höhe des Mittelstreifendurchbruchs zur südlichen Richtungsfahrbahn – ggü. der Einfahrt zum Möbelkaufhaus I. – ergibt sich daraus, dass sich der Unfall bei dem Betrieb des vom Beklagten zu 1) gehaltenen und geführten, bei der Beklagten zu 2) gegen Haftpflicht versicherten Personenkraftwagen F.E.B. ereignet und er den Unfall fahrlässig verschuldet hat (§§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 3 Nr. 1 und Nr. 2 PflichtVersG). Weil der Beklagte zu 1) den Unfall schuldhaft verursacht hat, haben die Beklagten der Klägerin ferner ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen (§§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB, 287 ZPO, 3 PflichtVersG).

Der Beklagte zu 1) hatte beabsichtigt, aus westlicher Richtung kommend, mit seinem Personenkraftwagen über den Mittelstreifendurchbruch zu wenden und auf der nördlichen Richtungsfahrbahn der Ruhlebener Straße in westlicher Richtung weiter zu fahren. Als er sich auf dem äußersten linken, dritten Fahrstreifen der nördlichen Richtungsfahrbahn befand, geriet die Klägerin mit ihrem Motorrad Y.V.B. vorn seitlich gegen die Front des Personenkraftwagens und stürzte. Dabei verletzte sich die Klägerin. An dem Motorrad trat sog. wirtschaftlicher Totalschaden ein.

Weder die Klägerin noch die Beklagten können sich darauf berufen, dass der Unfall für einen der beiden Kraftfahrer ein unabwendbares Ereignis darstellen würde, das von vornherein die Mithaftung der Klägerin oder die Haftung der Beklagten ausschließen könnte (vgl. § 7 Abs. 2 StVG). Denn die Klägerin hat nicht beweisen können, dass sie sich auf ein etwaiges Fehlverhalten des Beklagten zu 1) habe einrichten wollen, jedoch dennoch den Unfall nicht habe vermeiden können. Den Beklagten wiederum ist der Beweis der Unabwendbarkeit bereits deshalb verschlossen, weil der Beklagte zu 1) den Unfall verursacht und – fahrlässig – verschuldet hat, wie noch auszuführen ist.

Deshalb ist eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Klägerin und des Beklagten zu 1) unter Berücksichtigung der von ihren Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr geboten (§ 17 Abs. 1 StVG). Im Rahmen dieser Abwägung sind neben unstreitigen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH VersR 1967, 132 f.; KG VersR 1973, 1049 f.). Im Rahmen der Beweislast sind die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins zu beachten. Die Abwägung führt dazu, dass die Beklagten den gesamten unfallbedingten Schaden der Klägerin zu ersetzen haben. Ihr steht auch ein angemessenes Schmerzensgeld in voller Höhe zu, weil ihr kein Mitverschulden nachzuweisen ist (vgl. § 254 BGB).

1. Der wendende Verkehrsteilnehmer – so der Beklagte zu 1) – hat nicht nur wie ein Linksabbieger entgegenkommenden Verkehr durchfahren zu lassen (vgl. § 9 Abs. 3 StVO). Vielmehr muss er sich darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 9 Abs. 5 StVO). Wegen der besonderen Sorgfaltspflichten spricht gegen den Wendenden der erste Anschein, diesen Anforderungen nicht genügt zu haben (vgl. BGH v. 4.6.1985 – VI ZR 15/84, MDR 1985, 1016 = DAR 1985, 316 = VersR 1985, 989 [990]). Die Ausräumung des Anscheinsbeweises erfordert, dass der von ihm Betroffene Tatsachen darlegt und ggf. beweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Ursachenverlaufs ergibt. Wenn er den Anschein nicht widerlegt, hat er den gesamten Schaden aus dem Verkehrsunfall zu tragen und zu ersetzen (vgl. BGH DAR 1984, 85; KG, Urt. v. 29.11.1999 – 12 U 7113/96, v. 10.7.2000 – 12 U 1438/99; OLG Köln VersR 1999, 993 [994] Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, StVO § 9 Rz. 50, 52).

Die besonderen Umstände des Einzelfalles sind stet...

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