Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 6 O 3/09)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 10.11.2020; Aktenzeichen VI ZR 285/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7.3.13 - 6 O 3/9 - geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 375.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 9.12.09 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden über die Verurteilung zu 1. hinausgehenden immateriellen Schaden und jeden materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die streitgegenständliche Behandlung entstanden ist und zukünftig noch entstehen wird, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 21 % und die Beklagte 79 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. A. 1. Instanz

Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten wegen angeblicher Behandlungsfehler bei der Geburt (insoweit nur in der 1. Instanz) und der nachgeburtlichen intensivärztlichen Behandlung der Klägerin.

Bei der Klägerin war vorgeburtlich ein Herzfehler (kardiale Fehlbildung im Sinne eines membranösen Ventrikelseptumdefekts "double outlet right ventricle" = DORF) festgestellt worden, was aber einer "normalen" Geburt nicht im Wege stand.

Am 16.4.00 wurde die Klägerin nach einem vorzeitigen Blasensprung der Mutter um 20.00 Uhr in der Klinik der Beklagten geboren. Es bestand bei dramatisch schlechten Abgarwerten (1/4/4) ein reanimationspflichtiger Zustand (Schnappatmung ohne Atemgeräusche, Herzschlag 40/min.) Nach Maskenbeatmung, die aber keinen Erfolg brachte, entschloss man sich zur Intubation, die jedoch erst im 5. Anlauf gelang.

Anschließend wurde die Klägerin auf die Intensivstation verlegt und weiterhin maschinell beatmet. Am 17.4.00 (ab 0.00 Uhr) kam es mehrmals zu erniedrigten Werten des Kohlendioxydpartialdrucks (was zur Überbeatmung/Hyperventilation und letztlich zur verminderten Sauerstoffversorgung des Gehirns mit der Gefahr von Hirnschädigungen führt), worauf mit einer Änderung der Beatmungsführung reagiert wurde.

Am 18.4.00 wurde die Klägerin wegen des angeborenen Herzfehlers operiert (Totalkorrektur am unterbrochenen Aortabogen).

Nach der Geburt wurde u.a. auch festgestellt, dass die Klägerin unter einer Chromosomenanomalie in Form eine Mikrodeletionssyndroms 22 q 11 ("Catch 22-Syndrom") leidet.

Die Klägerin ist auch heute noch in vielfacher Hinsicht motorisch behindert und mental stark beeinträchtigt.

In der ersten Instanz haben die Parteien darüber gestritten, ob die Schäden Folge von Behandlungsfehlern bei und nach der Geburt sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts sowie ergänzend auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Im Rahmen des Schlichtungsverfahrens ist ein geburtshilfliches Gutachten von Prof. Dr. GXXXXXX vom 1.3.06 (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 5.3.09, Bl. 29 Bd. I d.A.) erstellt worden; danach sei es weder vor noch während der Geburt zu Behandlungsfehlern gekommen.

In dem ebenfalls im Rahmen des Schlichtungsverfahrens erstellten neonatologischen Gutachten von Prof. Dr. PXXXXX vom 13.10.06 (Bl. 181 f. Bd. I d.A.) ist aufgrund der Tatsache, dass die Intubation erst im 5. Anlauf gelang, geschlussfolgert worden "dass die ersten 4 Intubationsversuche fehlerhaft durchgeführt wurden." Ferner sei behandlungsfehlerhaft nicht schnell genug auf die Überbeatmung und das Absinken des Kohlendioxydpartialdruckes reagiert worden. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Behandlungsfehlern und Hirnschädigung sei möglich, müsse aber noch untersucht werden.

Das nachfolgende neuropädiatrische Gutachten von Dr. BXXX/Prof. SXXXXX vom 2.7.07 (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 5.3.09, Bl. 29 Bd. I d.A.) kommt zu dem Ergebnis, dass dieses "wohl nicht" der Fall sei.

Die Hirnschädigung wegen Sauerstoff- und Blutmangel (hypoxisch-ischämische Enzephalopathie - HIE) setze nicht nur eine Asphyxie (Atemdepression bis - stillstand), sondern auch eine neonatales neurologisches Syndrom voraus. Letzteres sei aber wohl nicht der Fall gewesen, auch wenn diesbezüglich eine Beurteilung schwierig sei. Insgesamt finde sich "kein einziger zweifelsfreier Hinweis auf eine ...

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