Leitsatz (amtlich)

Die Unwirksamkeit eines in einer Absprache enthaltenen Rechtsmittelverzichts entfällt nur, wenn dem Rechtsmittelberechtigten über die Freiheit, unbeschadet der Absprache Rechtsmittel einlegen zu können, eine von der eigentlichen Rechtsmittelbelehrung abgehobene, qualifizierte Belehrung erteilt worden ist.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 06.02.2008)

 

Tenor

Auf die sofortigen Beschwerden der Angeklagten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 6. Februar 2008 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die den Angeklagten in diesem Rechtszug entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin - Jugendschöffengericht- verurteilte (unter anderem) die Beschwerdeführer am 9. Oktober 2007 wegen (gemeinschaftlichen) schweren Raubes, und zwar den Angeklagten A. .... - unter Einbeziehung des Urteils des Jugendschöffengerichts Tiergarten vom 30. Oktober 2006 - zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten T. ... - unter Einbeziehung des Urteils des Jugendschöffengerichts Tiergarten vom 27. April 2007 - zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Dem lag folgender Verfahrensgang zugrunde:

Nach Anklageerhebung gab es mehrere - nicht aktenkundige- Gespräche zwischen dem zuständigen Jugendrichter und den Verteidigern der Angeklagten über den geplanten Verfahrensablauf und das mögliche Strafmaß. Vor Aufruf der Sache stellte der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts für den Fall einer jeweils geständigen Einlassung der Angeklagten eine (einheitliche) Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, verbunden mit einer kurzzeitigen Haftverschonung in Aussicht, wobei er erwartete, daß das Urteil von allen Beteiligten akzeptiert werden sollte. Die Verteidiger waren - nach Beratung - mit dieser Vorgehensweise einverstanden, und auch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft erklärte, daß sie einer Haftverschonung nur zustimmen werde, wenn das Urteil angenommen werde. Anschließend wurde die Hauptverhandlung durchgeführt, in der sich die Angeklagten geständig einließen und eine Zeugin gehört wurde.

Unmittelbar nach der Urteilsverkündung verschonte das Amtsgericht die Angeklagten vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Nach der üblichen Rechtsmittelbelehrung (gemäß § 35a StPO) verzichteten die Angeklagten nach Rücksprache mit ihren Verteidigern und ihre gesetzlichen Vertreter auf die Einlegung von Rechtsmitteln. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft verzichtete ebenfalls auf Rechtsmittel. Gegen dieses Urteil richten sich die - rechtzeitigen - Rechtsmittel der Angeklagten. Sie machen geltend, daß der in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten erklärte Rechtsmittelverzicht unwirksam sei und angefochten werde, da seitens des Gerichts die Haftentlassung von der Rechtskraft der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten abhängig gemacht worden sei. Damit sei der Rechtsmittelverzicht Bestandteil einer verfahrensbeendenden Absprache und daher unzulässig. Mit dem angefochtenen Beschluß verwarf das Landgericht Berlin die Berufungen der Angeklagten als unzulässig, da diese wirksam auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet hätten. Ihre sofortigen Beschwerden (§ 322 Abs. 2 StPO) haben Erfolg, weil dem Urteil eine Absprache zugrunde liegt, die in unzulässiger Weise mit einem Rechtsmittelverzicht verknüpft und eine qualifizierte Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt wurde.

1.

Nach der eindeutigen dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden des erkennenden Jugendschöffengerichts, die mit derjenigen des Verteidigers des Angeklagten A. übereinstimmt, war der Rechtsmittelverzicht keineswegs "nur" mit der in Aussicht gestellten Haftverschonung (vgl. BGH StraFo 2006, 244) verknüpft. Das vor der Hauptverhandlung geführte Gespräch beinhaltete vielmehr auch, daß das Urteil, nämlich die Verhängung von Jugendstrafen von jeweils zwei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig wird. Anders können die Wendungen in der dienstlichen Äußerung "..... dies beinhaltete aus meiner Sicht, dass das Urteil von allen Beteiligten akzeptiert werden sollte. Dies wurde von den Verteidigern so akzeptiert...." nicht verstanden werden. Damit ging der Verurteilung eine ausführliche Absprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und der Verteidigung voraus. Darauf, daß die Verfahrensvereinbarung (entgegen den Vorgaben von BGHSt 43, 195) nicht in die Hauptverhandlung eingeführt und protokolliert worden ist, kommt es nicht an (vgl. BGHSt 50, 41, 52; Senat NStZ-RR 2004, 175, 178).

2.

Auch für die Fälle einer Verfahrensabsprache muß eine effektive Möglichkeit der Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen durch das Rechtsmittelgericht erhalten bleiben. Beteiligt sich das Gericht im Rahmen einer Urteilsabsprache an der Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts, so läßt es erkennen, daß sein Urteil keiner gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden soll. Deshalb ist es dem Gericht untersagt, an jed...

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