Leitsatz (amtlich)

Darin, dass die Finanzbehörden Medienvertretern gestatten, sie bei einem Vollstreckungsversuch in der Wohnung des Steuerschuldners zu begleiten, kann eine Amtspflichtverletzung liegen; führt die hierdurch ermöglichte Produktion und Ausstrahlung des bei der Wohnungsdurchsuchung entstandenen Filmmaterials im Fernsehen zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen, so kommt ein Anspruch auf Schmerzensgeld in Betracht.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 16.03.2010; Aktenzeichen 27 O 959/09)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 31.3.2010 wird der Beschluss des LG Berlin vom 16.3.2010 - 27 O 959/09 - geändert und wie folgt neu gefasst:

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung des Rechtsanwalts J.E.bewilligt.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin macht eine Steuerforderung i.H.v. ca. 125.000 EUR gegen den Antragsteller geltend. Zur Vollstreckung dieser Forderung erwirkte das Hauptzollamt B.am 21.6.2007 einen Durchsuchungsbeschluss beim AG T.-K.

Unter dem 4.7.2007 erteilte die Oberfinanzdirektion C.der G.TV die beantragte Drehgenehmigung für Filmaufnahmen bei den Mobilen Kontrollgruppen des Hauptzollamtes F.sowie der Vollstreckungsstelle des Hauptzollamtes B. Die Firma wurde in diesem Schreiben gebeten, sich mit den jeweiligen Pressesprechern der beiden Behörden abzustimmen. Zugleich wurde das Unternehmen in dem Schreiben der Oberfinanzdirektion auf folgende Drehbedingungen hingewiesen, namentlich dass die Vorschriften zum Steuergeheimnis, zum Sozialdatengeheimnis, zum Datenschutz, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen sowie die Anweisungen der Zollbeamten und Zollbeamtinnen hierzu unbedingt zu beachten seien. Soweit Bild-/Tonaufnahmen von Zollbeamten und Zollbeamtinnen gemacht würden, sei deren Zustimmung vorab einzuholen. Schriftstücke, Planenaufschriften, Namensschilder oder sonstige Hinweise, die eine Identifizierung von Zollbeteiligten/Privatpersonen ermöglichen könnten, seien auf geeignete Weise (z.B. Pixeln) zu anonymisieren. Die G.TV erkannte diese Drehbedingungen durch Übersendung einer unterschriebenen Mehrausfertigung des Genehmigungsschreibens an.

Am 29.8.2007 betraten zwei Vollziehungsbeamte des Hauptzollamtes B.in Ausführung des ihnen erteilten Vollstreckungsauftrages und unter Hinweis auf den Durchsuchungsbeschluss die Wohnung des Antragstellers, in der sich die Ehefrau und der dreijährige Sohn des Antragstellers aufhielten. Sie wurden von zwei Mitarbeitern der Fa. G.TV begleitet, die Filmaufnahmen von diesem Einsatz fertigte, hierbei auch von dem später erschienenen Antragsteller, seinen Familienangehörigen, seiner Wohnung, seinen Einrichtungsgegenständen und dem Inhalt geöffneter Schränke. Vor laufender Kamera wurde der Antragsteller von den Vollziehungsbeamten zu seiner Steuerschuld und seinen Einkommensverhältnissen gefragt. Aus dem Kamerateam wurden weitere Fragen gestellt, die der Antragsteller ebenfalls beantwortete. Wegen des Inhalts des entstandenen Filmmaterials wird auf die beiden im Verfahren LG Berlin - 27 O 230/08 - eingereichten DVD (Beiakte, Inhalt Hülle Bl. 45) verwiesen.

Der Fernsehsender V.strahlte am 6.10.2007 um 13:25 Uhr in der Sendung "S.-T.-R." den von der I.GmbH & Co. KG (im Folgenden: I & ...) produzierten Beitrag zum Thema "Jagd auf Schmuggler und Schuldner! - Zollfahnder im Einsatz" aus, in dem u.a. über den Antragsteller unter Verwendung des am 29.8.2007 entstandenen Filmmaterials berichtet wurde. In dem Beitrag wird das Gesicht des Antragstellers ungepixelt gezeigt und es wird angesprochen, dass er seine Steuerschulden als Empfänger von Arbeitslosenhilfe nicht zurückzahlen könne. Wegen der Einzelheiten wird auf den Mitschnitt der Sendung, der sich als Anlage 1 in den beigezogenen Akten des LG Berlin - 27 O 230/08 - befindet, Bezug genommen.

Das LG hat mit Urt. v. 14.10.2008 - 27 O 230/08 - die V.F.- und F.-GmbH & Co. KG und die I & ...als Gesamtschuldner verurteilt, an den hiesigen Antragsteller für die durch die Aussendung des Beitrages erlittenen Persönlichkeitsverletzungen eine Geldentschädigung i.H.v. 10.000 EUR zu zahlen. Auf die Berufung der dortigen Beklagten haben sich die Parteien vor dem 10. Zivilsenat des KG am 27.8.2009 auf die Zahlung von 5.000 EUR Geldentschädigung geeinigt. Diesen Anspruch hat die Antragsgegnerin gepfändet.

Der Antragsteller macht geltend, die Antragsgegnerin habe seine Persönlichkeitsrechte schwer verletzt, indem sie den Kameraleuten seine Steuerschuld sowie die bevorstehende Vollstreckung offenbart und ihnen ein Eindringen in seine Wohnung sowie die Fertigung von später ausgestrahlten Filmaufnahmen überhaupt erst ermöglicht habe.

Das LG hat durch Beschluss vom 16.3.2010 den Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers mit der Begründung zurückgewiesen, eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung durch die Antragsgegnerin liege nicht vor. Die Antragsgegnerin habe bei - wenn auch leichtfertiger - Erteilung der Drehgenehmigung ...

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