Leitsatz

In der Insolvenz des Vermieters besteht das Mietverhältnis nur dann mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort, wenn die Mietsache im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Mieter bereits überlassen worden ist.

(amtlicher Leitsatz des BGH)

 

Normenkette

InsO § 108 Abs. 1 S. 1

 

Kommentar

Zwischen den Parteien bestand ein Mietvertrag vom Februar/März 2003. Nach diesem Vertrag war der Vermieter – ein Bauunternehmer – verpflichtet, auf einem Grundstück Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einkaufsmarktes zu errichten und diese der Mieterin nach Fertigstellung, spätestens aber Ende Juni 2005 zu überlassen.

Am 28.2.2004 wurde über das Vermögen des Vermieters das Insolvenzverfahren eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Vermieter weder das Grundstück erworben noch mit den Bauarbeiten begonnen. Der Insolvenzverwalter hat die Erfüllung des Vertrags abgelehnt. Die Mieterin hat beantragt festzustellen, dass das Mietverhältnis fortbesteht und der Vermieter verpflichtet ist, die Mietsache spätestens Ende Juni 2005 zu übergeben. Die Instanzgerichte haben der Klage stattgegeben.

Die Revision des Insolvenzverwalters hatte Erfolg: Wird über das Vermögen des Vermieters das Insolvenzverfahren eröffnet, so gilt für die vom ihm abgeschlossen Mietverträge die Regelung des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO. Danach bestehen "Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume ... mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort". Diese Vorschrift ist am 1.1.1999 in Kraft getreten. Bis zu diesem Zeitpunkt war in § 21 Abs. 1 der bis dahin geltenden Konkursordnung geregelt, dass der "Miet- oder Pachtvertrag auch der Konkursmasse gegenüber wirksam" ist, wenn der Miet- oder Pachtgegenstand "dem Mieter oder dem Pächter vor der Eröffnung des Verfahrens überlassen" war. Nach § 21 Abs. 1 KO war also nur der vollzogene Mietvertrag konkursfest; war die Mietsache dagegen nicht überlassen, hatte der Mieter keinen Erfüllungsanspruch. Demgegenüber erfasst der Wortlaut des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO alle Mietverhältnisse; auf die Überlassung der Mietsache kommt es nicht an.

Aus dem unterschiedlichen Wortlaut der jeweiligen Vorschriften hat die h. M. den Schluss gezogen, dass sich die Rechtslage gegenüber der früher geltenden KO geändert habe und nunmehr auch die nicht vollzogenen Mietverträge insolvenzfest sind (Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, Rdn. 1439; Eckert in: MüKomm, § 108 InsO Rdn. 64). Der BGH teilt diese Ansicht nicht. Er ist der Meinung, dass der Anwendungsbereich des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO einschränkend auszulegen ist. Danach gilt die Vorschrift in der Insolvenz des Vermieters nur für "Mietverhältnisse, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits durch die Überlassung der Mietsache an den Mieter vollzogen waren". Der BGH begründet diese Ansicht im Wesentlichen mit dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens und dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit. Ziel des Insolvenzverfahrens sei eine zügige Abwicklung der Masse. Damit sei es nicht zu vereinbaren, wenn die Masse die Herstellungskosten finanzieren und sodann jahrelang abwarten müsse, ob sich die Investition über die Mietzahlung rentiere. In vielen Fällen seien die Mittel für die Herstellung der Mietsache auch nicht vorhanden, sodass der Mieter Schadensersatzansprüche gegen die Masse geltend machen könne. Dadurch werde er gegenüber anderen Gläubigern privilegiert, was nicht gerechtfertigt sei.

Anmerkung

Der vom BGH entschiedene Sachverhalt betrifft einen Fall, in dem ein noch herzustellendes Gebäude vermietet war (sog. "Vermietung vom Reißbrett"). Trotz der auf diesen Fall zugeschnittenen Argumentation gilt die Entscheidung aber für alle Mietverhältnisse, in denen die Mietsache dem Mieter im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht überlassen war. In diesen Fällen kann der Insolvenzverwalter die Mietsache überlassen (§ 103 Abs. 1 InsO); er ist hierzu aber nicht verpflichtet. Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, besteht der Mietvertrag fort; dem Mieter stehen aber keine Erfüllungs-, sondern nur Schadensersatzansprüche zu. Diese Ansprüche kann der Mieter nicht als Massegläubiger, sondern nur als (gewöhnlicher) Insolvenzgläubiger geltend machen (§ 103 Abs. 2 S. 1 InsO).

 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil vom 05.07.2007, IX ZR 185/06, NJW 2007, 3715 m. Anm. Gundlach = NZM 2007, 883

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