Rz. 40

Die Frage, welches nationale Recht auf eine GmbH Anwendung findet (Gesellschaftsstatut), wurde in Deutschland – wie in den meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen – traditionell[1] nach dem Verwaltungssitz der Gesellschaft entschieden (Sitztheorie). Es sollte das nationale Recht desjenigen Staates zur Anwendung kommen, in dem die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz hatte, also die Geschäftsleitung der Gesellschaft saß.[2]

 

Rz. 41

Dieser kontinentaleuropäische Grundsatz – der Verwaltungssitz entscheidet über das anwendbare nationale Recht – gilt nach der "Centros"-Rechtsprechung des EuGH wegen der europäischen Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) in der EU und dem EWR nur noch eingeschränkt:[3] Gesellschaften mit Satzungssitz im EU-Ausland sind in Deutschland auch dann nach ihrem Heimatrecht zu beurteilen, wenn sich ihr Verwaltungssitz in Deutschland befindet und die Gesellschaft in ihrem Gründungsstaat keinerlei Aktivitäten mehr entfaltet oder Verwaltungseinrichtungen unterhält. Insoweit hat sich nun auch der BGH für EU-Gesellschaften der sogenannten Gründungstheorie angeschlossen.[4] Ähnliches gilt nach dem deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag[5] auch im Verhältnis zu in den USA gegründeten Gesellschaften[6] sowie nach dem mit der Schweiz abgeschlossenen Freizügigkeitsabkommen[7] im Verhältnis zu schweizerischen Gesellschaften.[8] Im Verhältnis zu Gesellschaften aus sonstigen Drittstaaten wie z. B. Singapur hat der BGH die Sitztheorie dagegen nicht aufgegeben.[9]

 

Rz. 42

Damit deutsche Publizitätserfordernisse und Bestellhindernisse für gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft auf der Grundlage der EuGH-Rechtsprechung nicht durch Gründung einer Auslandsgesellschaft mit Zweigniederlassung in Deutschland umgangen werden können, sind deutsche Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften ausdrücklich bestimmten Publizitätsanforderungen des Handelsgesetzbuchs unterworfen.[10] Darüber hinaus gelten die Bestellhindernisse für Vorstände einer AG und Geschäftsführer einer GmbH[11] entsprechend auch für gesetzliche Vertreter einer inländischen Zweigniederlassung.[12]

[2] Die angloamerikanischen Rechtsordnungen wenden hingegen stets das Recht des Gründungsstaates an, also des Staates, in dem die Gesellschaft gegründet wurde, unabhängig davon, ob sie dort überhaupt noch geschäftlich aktiv ist.
[3] EuGH, Urteil v. 9.3.1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, 1484 = NZG 1999 S. 298 = NJW 1999 S. 2027 ("Centros"); EuGH, Urteil v. 5.11.2002, Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919 = BB 2002 S. 2402 ("Überseering"); EuGH, Urteil v. 30.9.2003, Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003 S. 3331 ("Inspire Art"), EuGH, Urteil v. 13.12.2005, C-411/03, Slg. 2005, I-10825 = NJW 2006 S. 425 ("SEVIC").
[4] BGH, Urteil v. 13.4.2010, 5 StR 428/09, AG 2010 S. 545, 546. Die Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen EU-Mitgliedsstaat selbst ist jedoch nicht von der europäischen Niederlassungsfreiheit geschützt und muss durch nationales Recht des Gründungsstaates gewährleistet sein, EuGH, Urteil v. 16.12.2008, C-210/06, NJW 2009 S. 569 ("Cartesio"), näher dazu u. Rn. 43.
[5] BGBl. II 1956, S. 487.
[7] BGBl. II 2001, S. 810 und 2002 S. 1692.
[9] BGH, Beschluss v. 8.10.2009, IX ZR 227/06, AG 2010 S. 79.
[10] Z. B. Eintragung einer zustellungsfähigen inländischen Geschäftsanschrift in das Handelsregister, § 13e Abs. 2 Satz 3 HGB, eingeführt zum 1.11.2008 durch Art. 3 Nr. 3a bb des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG).
[12] Art. 3 Nr. 3b bb MoMiG, § 13e Abs. 3 Satz 4 HGB; weitere Informationen zum MoMiG siehe Rn. 12 ff.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge