Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung. Verfügbarkeit. Erreichbarkeit des Arbeitslosen. Mitteilung der neuen Wohnanschrift. Unterlassung. Beweislastumkehr

 

Orientierungssatz

Im Falle einer streitigen Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Rückforderungsbescheides trägt die objektive Beweislast für das Vorliegen der die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheides begründenden Tatsachen grundsätzlich der Leistungsträger. Ergibt sich jedoch nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten, dass der Sphäre des Arbeitslosen zuzuordnende Vorgange nicht aufklärbar sind, so geht dies zu seinen Lasten. Insbesondere kann sich dabei eine dem Arbeitslosen anzulastende Beweisnähe daraus ergeben, dass er durch Unterlassung von Angaben im Zusammenhang mit den Antragstellungen eine zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts unmöglich gemacht hat (vgl BSG vom 28.8.2007 - B 7/7a AL 10/06 R und vom 13.9.2006 - B 11a AL 19/06 R). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Arbeitslose lediglich behauptet, seiner Pflicht zur Mitteilung der neuen Wohnanschrift mündlich nachgekommen zu sein.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.09.2010; Aktenzeichen B 11 AL 4/09 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. September 2005 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld vom 1. März 1998 bis zum 17. Januar 1999 und die Rückforderung überzahlter Leistungen (Arbeitslosengeld, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge) in Höhe von insgesamt 23.446,35 DM bzw. 11.987,93 €.

Die 1941 geborene Klägerin bezog von der Beklagten aufgrund des Bescheides vom 1. Oktober 1997 ab dem 4. August 1997 Arbeitslosengeld. In ihrem Leistungsantrag hatte die Klägerin als Wohnanschrift "H-S-Str. ... O" angegeben. Ab dem 1. Januar 1998 erhielt sie wöchentlich 389,34 DM / täglich 55,62 DM (Bemessungsentgelt 1.170,00 DM, Leistungsgruppe A /0).

Am 18. Januar 1999 ging ein Änderungsbescheid der Beklagten an die Klägerin vom 8. Januar 1999 mit dem Vermerk, dass der Empfänger unbekannt verzogen sei, wieder bei der Beklagten ein. Die Beklagte veranlasste daraufhin die Einstellung der weiteren Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 18. Januar 1999. Der wiederum an die Adresse "H-S-Str. ... O" von ihr versandte Bescheid vom 22. Januar 1999 kam ebenso mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurück, wie ein dorthin geschickter Leistungsnachweis vom 26. Januar 1999.

Am 2. Februar 1999 meldete sich die Klägerin erneut arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld, das die Beklagte in der Folge durch Bescheid vom 18. Februar 1999 bewilligte. Als Wohnanschrift gab die Klägerin bei der Antragstellung "W ..., O" an.

Unter dem 4. Februar 1999 sendete die Beklagte den Aufhebungsbescheid vom 22. Januar 1999 an die neue Anschrift der Klägerin, mit Datum 8. Februar 1999 den Leistungsnachweis vom 26. Januar 1999. In ihrem Widerspruch gegen "das Schreiben" vom 26. Januar 1999 teilte die Klägerin mit, bereits zum 1. März 1998 in die W ... umgezogen zu sein und behauptete, dies bei ihren regelmäßigen Besuchen im Hause der Beklagten mitgeteilt zu haben. Herr L könne sich erinnern, er habe ihr bei der Neubeantragung am 2. Februar 1999 gesagt, "die W war doch schon mal im Computer".

Mit Bescheid vom 31. Januar 2000 hob die Beklagte die Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab dem 1. März 1998 ganz auf und forderte von der Klägerin die Erstattung der zu Unrecht erbrachten Leistungen (Arbeitslosengeld: 18.031,90 DM, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge: 5.414,45 DM). Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe der Arbeitsvermittlung aufgrund des nicht angezeigten Umzuges am 1. März 1998 wegen einer fehlenden ladefähigen Anschrift nicht zur Verfügung gestanden.

Im Widerspruchsverfahren erklärte der Sachbearbeiter der Beklagten L auf telefonische Nachfrage am 24. Februar 2000, dass die Behauptung der Klägerin nicht zuträfe. Im Falle einer Adressänderung werde grundsätzlich ein Vermerk gemacht. Es sei datentechnisch nicht möglich, die "alte" Anschrift wieder aufzurufen.

Den i.ü. nicht näher begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2000 als unbegründet zurück. Zur Begründung vertiefte sie die bereits im Ausgangsbescheid gemachten Ausführungen. Ergänzend wies sie darauf hin, dass die von ihr erlassene Erreichbarkeitsanordnung (EAO) i.V.m. § 119 Abs. 3 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für den Arbeitslosen gewisse Pflichten statuiere, denen die Klägerin im vorliegenden Falle nicht hinreichend nachgekommen sei. Ihren Umzug zum 1. März 1998 habe sie nicht rechtzeitig mitgeteilt. Das Arbeitsamt habe von diesem durch sie erst am 2. Februar 1999 erfahren. Ein Nachsendeantrag sei nicht gestellt worden. Die Klägerin sei erst wieder nach Mitteilung ihrer neuen Ansc...

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