Rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Hausnotrufsystem. Pflegehilfsmittel

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Hausnotrufsystem gehört zu den technischen Pflegehilfsmitteln und kann sowohl der Ermöglichung einer selbständigeren Lebensführung als auch der Erleichterung der Pflege dienen. Weitere Anforderungen an die Einsatz- und Verwendungsmöglichkeit werden mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht gestellt.

Nach dem Grundanliegen des Gesetzgebers soll der Pflegebedürftige grundsätzlich in seiner Wohnung verbleiben können und nicht in irgendeiner Wohnung, die seinen Pflegebedürfnissen entspricht (im Anschluss an BSG, Urteile vom 3. November 1999, Az.: B 3 P 3/99 und vom 11. April 2002, Az.: B 3 P 10/01 R).

Die Notwendigkeit eines Hausnotrufsystems kann sich nicht nur aus der konkreten Gefahr unmittelbar lebensbedrohender Umstände, sondern auch aus anderen Notfallsituationen ergeben, die z. B. aus Gründen der Menschenwürde einer sofortigen Abhilfe bedürfen.

 

Normenkette

SGB XI § 40 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

SG Gießen (Gerichtsbescheid vom 09.04.2002; Aktenzeichen S 6 KN 223/01 P)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 9. April 2002 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Dezember 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2001 verurteilt, die Klägerin mit einem Hausnotrufsystem zu versorgen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einem Hausnotrufsystem als Pflegehilfsmittel.

Die am 16. März 1921 geborene Klägerin hatte 1990 einen Schlaganfall bei cerebraler Durchblutungsstörung erlitten, in dessen Folge eine Sprachstörung sowie eine Hemiparese rechts aufgetreten waren. Nach notfallmäßiger Einweisung befand sich die Klägerin zur stationären Behandlung vom 8. Oktober bis 25. Oktober 1999 im Marienkrankenhaus in A-Stadt, das in seinem Entlassungsbericht vom 1. November 1999 folgende Diagnosen beschrieb:

  1. Biventrikuläre dekompensionierte Herzinsuffizienz auf dem Boden einer absoluten Arrhythmie bei Vorhofflimmern
  2. Arteriosklerose
  3. KHK
  4. cAVK
  5. Z. n. PEG-Anlage bei Nahrungsverweigerung im Rahmen eines HOPS
  6. Z.n. Nephrektomie rechts
  7. Thrombozytopenie unklarer Ätiologie
  8. Hyperthyreose bei Struma

Nachdem die anfängliche Behandlung auf der Intensivstation bis zur kardialen Rekompensation erfolgt war, wurde die Betreuung der Klägerin durch den jetzigen Betreuer eingerichtet und diese sodann „…kardiopulmonal stabil und weitstgehend beschwerdefrei…” in die hausärztliche Behandlung entlassen. Die Klägerin war zunächst in einem Pflegeheim untergebracht worden. Seit dem 13. November 2000 lebt sie wieder alleine in ihrem Haus und wird von dem ambulanten Pflegedienst der Diakoniegesellschaft W.-F. mbH gepflegt. Nach dem die Klägerin zunächst ab 25. Oktober 1999 in Pflegestufe III eingestuft war, setzte die Beklagte ab 1. Mai 2000 die Pflegestufe auf I herab.

Unter dem 12. Juli 2000 veranlasste die Beklagte ein weiteres Pflegegutachten durch Dr. L., der zur Vorgeschichte ausführte, aufgrund einer Cerebralsklerose und einer Herzinsuffizienz sei die Klägerin zunächst in Pflegestufe III eingestuft worden. In der Zwischenzeit habe sich jedoch der Zustand gebessert. Die Klägerin habe sich in „relativ gutem Allgemein- und Einzelzustand” befunden, sei jedoch „verwirrt, verlangsamt” gewesen. Zum zentralen Nervensystem und zur Psyche führte Dr. L. aus, die Klägerin sei zeitlich, örtlich und situativ desorientiert gewesen. Er diagnostizierte eine „senile Demenz vom Alzheimer-Typ II” sowie eine Harninkontinenz. Die Klägerin sei nicht im Stande, Risiken und Gefahren zu erkennen. Es handele sich hierbei um einen fortschreitenden Prozess, weshalb vollstationäre Pflege erforderlich gewesen sei.

Den Antrag der Klägerin vom 11. Oktober 2000 auf Versorgung mit einem Hausnotruf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Dezember 2000 ab, weil ein Hausnotrufsystem nur zur Abwendung einer konkreten, lebensbedrohlichen Gefahrensituation in Betracht komme, die im Fall der Klägerin jedoch nicht vorliege. Alleine die Befürchtung, dass es irgendwann zu einer Notsituation kommen könne, reiche für die Leistungsgewährung nicht aus.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2001 nunmehr mit der Begründung zurück, nach den ärztlichen Feststellungen des Sozialmedizinischen Dienstes leide die Klägerin an Alzheimer mit Verwirrtheitszuständen und sei nicht in der Lage, Risiken und Gefahren zu erkennen. Deshalb könne sozialmedizinisch ein Hausnotrufsystem nicht befürwortet werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 5. Februar 2001 beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben (Az.: S 6 KN 223/01 P) und zur Begründung ihres Begehrens einen Entlassungsbericht des Marienkrankenhauses A-Stadt vom 17. Januar 2001 vorgelegt, wonach sie sich dort vom 3. Januar bis 11. Januar 2001 erneut in ...

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