Entscheidungsstichwort (Thema)

Schulunfall. Eigenwirtschaftliche Handlung. Essen. Innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Wesentliche Bedingung. Spielerische Handlungen Jugendlicher. Einsichtsfähigkeit. Schulpause

 

Leitsatz (redaktionell)

Spielerische Aktivitäten von Schülern unterliegen auch dann dem Unfallversicherungsschutz, wenn sie leichtfertig erscheinen. Ausgenommen sind lediglich völlig unverständliche oder vernunftwidrige Handlungen. Maßgeblich ist die individuelle Einsichtsfähigkeit des betroffenen Schülers.

 

Normenkette

SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 8b, § 7 Abs. 2, § 101 Abs. 1

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Februar 2003 wird zurückgewiesen.

II. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Februar 2003 die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers vom 23. April 1999 als Schulunfall zu entschädigen.

III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1986 geborene Kläger ist der einzige Sohn bosnischer Eltern, mit denen er seit 1992 in der Bundesrepublik Deutschland lebt. Er streitet um die Entschädigung eines Ereignisses vom 23. April 1999 als Schulunfall.

Ausweislich der Unfallanzeige der XY-Schule, eines Gymnasiums in D-Stadt/D., vom 11. Mai 1999 verschluckte der Kläger sich dort am 23. April 1999 gegen 9.40 Uhr auf dem Pausenhof an einem Croissant, das in seine Lunge gelangte und zum Atemstillstand führte. Der Kläger wurde reanimiert. Nach dem Bericht des Fachkrankenhauses DN. vom 31. Mai 2000 verblieb bei ihm eine schwere hypoxische-ischämische Encephalopathie nach Reanimation bei Bolus-Aspiration, eine Aspirationspneumonie sowie ein Pneumothorax rechts bei dauerhaft bestehendem apallischem Syndrom. Der Kläger ist nach dem Bescheid des Versorgungsamts B-Stadt vom 28. Februar 2001 als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 wegen einer Hirnschädigung mit Folgestörung anerkannt.

Der Notarzt E. berichtete am 23. April 1999 sowie am 10. Februar 2000, der Kläger habe sich ein Croissant komplett in den Mund gesteckt, sei anschließend blau angelaufen und umgefallen, wobei er diese Angaben von umstehenden Schülern und Lehrern erhalten habe, von denen keiner Unfallaugenzeuge gewesen sei. Wesentliche weitere Verletzungen seien ihm beim Kläger nicht aufgefallen, wobei er Bagatellverletzungen wie Schürfungen oder Prellungen nicht ausschließen könne. Auch der Rettungsassistent F. F. hatte nach seiner Auskunft vom 8. Februar 2000 weitere Verletzungen beim Kläger nicht erkennen können. Das I-Klinikum für Kinder und Jugendliche in I-Stadt schrieb am 27. Mai 1999, der Kläger habe sich an einem Croissant verschluckt, das er sich komplett in den Mund gesteckt habe. Er habe geäußert, keine Luft zu bekommen, sei blau angelaufen und umgefallen. Diese anamnestischen Angaben habe die Klassenlehrerin des Klägers Dr. F. als aufnehmendem Arzt gegenüber gemacht. Hinweise auf sturzbedingte oder unfallbedingte äußere Verletzungen seien nicht aufgefallen. Das I-Klinikum hat auszugsweise Behandlungsunterlagen übersandt, in denen als Aufnahmebefund ausgeführt ist, Schädel, Stamm und Extremitäten des Klägers seien o. B. gewesen und es hätten keine Hautverletzungen bestanden. Mit weiterer Stellungnahme vom 22. Mai 2000 äußerten Dres. G. und F. vom I-Klinikum, eine “körpereigene„ Entstehung der Verletzung des Klägers sei möglich. Es sei durchaus möglich, dass jemand größere Nahrungsmittelmengen verschlucke mit der Folge eines Luftröhrenverschlusses und es sei weiter möglich, dass im Rahmen der Reanimation Anteile des Croissants, die bereits den Luftweg verlegt hätten, in tiefere Anteile des Tracheobronchialsystems gelangten - entweder während der Maskenbeatmung oder während der anschließenden Intubation. Die körpereigenen Reflexe schlössen eine Aspiration nicht aus. Durch Hinzutreten weiterer mitverursachender Umstände werde die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses gesteigert. Es sei zweifelsfrei, dass der Kläger große Teile eines Croissants zu sich genommen habe, da sie am Nachmittag im Rahmen einer Umintubation mehrere, bis zu handtellergroße Stücke aus dem Rachenraum entfernt hätten. Welcher der im Schreiben der Beklagten vom 22. März 2000 alternativ zur Diskussion gestellten Ereignisabläufe sich tatsächlich ereignet habe, könnten sie nicht mit ausreichender Sicherheit bestätigen. Das Fachkrankenhaus DN. berichtete am 31. Mai 2000 zum Unfallhergang, Mädchen hätten näher beobachtet, dass der Kläger sich den Kopf blutig geschlagen habe, nachdem er infolge des Verschluckens zu Boden gefallen sei.

Der Mitarbeiter der Beklagten H. H. besuchte die Schule am 22. November 1999, befragte die Klassenlehrerin D. und mehrere Mitschüler und fertigte hierüber den Aktenvermerk vom 22. November 1999. Einen dem entsprechenden “Aktenvermerk„ ließ er sodann in gleicher...

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