Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Beatmungspflegepatient. 24-Stunden-Beatmungspflege durch Pflegefachkraft. keine Anrechnung der von Angehörigen erbrachten Zeiten der Grundpflege auf die Zeiten der Behandlungspflege. Nebeneinanderstehen von Ansprüchen auf häusliche Krankenpflege und Pflegegeld

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Beatmungspflegepatienten, die einer 24-stündigen Beatmungspflege durch ein qualifiziertes Pflegepersonal bedürfen, kommt eine Anrechnung von Zeiten der Grundpflege auf die Zeiten der Behandlungspflege nicht in Betracht, wenn die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch Angehörige erbracht werden.

2. Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege und Pflegegeld stehen insoweit nach Leistungserbringung und Zuständigkeit getrennt uneingeschränkt nebeneinander.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Urteils des Sozialgerichtes Kassel vom 11. Juli 2007 zu 1 und 2 wie folgt gefasst wird:

Der Bescheid vom 4. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Februar 2007 wird aufgehoben, soweit dort die Behandlungspflege zeitlich gekürzt worden ist.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte in dem Zeitraum vom 1. Oktober 2006 bis zum 30. September 2007 zur Versorgung der Klägerin mit der verordneten 24-stündigen Behandlungspflege verpflichtet gewesen ist.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Umfang der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege.

Die 1999 geborene Klägerin leidet u.a. an einer schweren Mehrfachbehinderung durch Trisomie 21, Enzephalopathie und Densfraktur mit hohem Querschnitt, einer respiratorischen Insuffizienz, einem Ernährungsproblem bei Schluckstörung und neurogenen Miktionsstörungen und Ostipation. Sie ist täglich 24 Stunden beatmungspflichtig und wird über eine PEG-Sonde ernährt. Die Klägerin benötigt u.a. zweimal täglich eine intensive Atemtherapie zur Pneumonieprophylaxe bei Neigung zum Sekretverhalt und ein bedarfsabhängiges Absaugen über die Trachealkanüle, um die oberen Luftwege freizuhalten. Im Weiteren ist eine mehrfache tägliche Lagerung und Durchmobilisierung aller Gelenke bei Tetraspastik notwendig. Allein wegen der Beatmungspflege und des Risikos plötzlich auftretender Komplikationen (akut eintretende vitale Ateminsuffizienz) ist die kontinuierliche Anwesenheit einer qualifizierten Krankenpflegefachkraft erforderlich. Von der beigeladenen Pflegekasse beziehen die Eltern der Klägerin seit dem 15. Juli 2000 Pflegegeld nach Pflegestufe III, nachdem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung - MDK - (zuletzt vom 24. August 2005 bzw. 1. Februar 2007) einen durchschnittlichen täglichen grundpflegerischen Mehrbedarf der Klägerin von 303 Minuten ergeben hatten. Sämtliche Maßnahmen der Krankenbeobachtung und der sonstigen medizinischen Behandlungspflege wurden zunächst von Fachkräften der Diakoniestation B-Stadt durchgeführt und werden im Anschluss daran nun von Fachkräften des Gemeinnützigen Vereins für häusliche Alten- und Krankenpflege Pflege - Hilfe & Betreuung e.V. wahrgenommen. Die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erfolgt durch die Mutter der Klägerin, die den Beruf der Hauswirtschafterin erlernt hat, und den Vater, der von Beruf Werkzeugmacher ist.

Ab Februar 2006 übernahm die Beklagte zunächst die Kosten der 24-stündigen Behandlungspflege jeweils für drei Monate befristet nach Vorlage entsprechender ärztlicher Verordnungen. Mit Bescheid vom 4. September 2006 wies die Beklagte die Eltern der Klägerin darauf hin, dass ab dem 1. Oktober 2006 von der beantragten häuslichen Krankenpflege entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Zeitanteil abgezogen werde, der auf die Grundpflege entfalle. Während der Erbringung der Grundpflege trete die Behandlungspflege in den Hintergrund, so dass die Kostenzusage für die häusliche Krankenpflege um täglich 5 Stunden und 3 Minuten zu kürzen sei. Den Widerspruch der Eltern der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2007 zurück.

Auf den Antrag der Eltern der Klägerin vom 18. Oktober 2006 hat das Sozialgericht Kassel der Beklagten im Rahmen eines Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 13. November 2006 aufgegeben, die Klägerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache auf der Grundlage der Verordnung der Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin C. vom 25. September 2006 über den 30. September 2006 hinaus im Umfang von 24 Stunden täglich mit Beatmungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege als Sachleistung auch insoweit zu versorgen, als lediglich eine Überwachung/Beobachtung von Vital- und Beatmungsparametern bzw. der Beatmungstechnik erforderlich sei, wobei deren Notwendigkeit über den 31. Dezember 2006 hinaus alle drei Monate spätestens 14 Tage vor dem Ende des Kalenderviert...

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