Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmissbrauch. Auseinanderfallen von Vertragsinhalt und Vertragspraxis

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Berufung auf einen fehlenden Übertragungsakt nach § 26 Abs. 1 des Tarifvertrags für die Musiker in Kulturorchestern vom 01.07.1971 ist rechtsmissbräuchlich, wenn Arbeitsvertragsinhalt und Vertragsvollzug nicht mehr übereinstimmen, mit der Folge, dass für eine Zulagengewährung nach § 26 Abs. 3 des Tarifvertrags nicht mehr auf den überholten Inhalt des Arbeitsvertrags, sondern auf die geänderte Handhabung abzustellen ist.

 

Normenkette

TVG § 1; BGB § 242; Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern vom 01.07.1971 § 26 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Aktenzeichen 11 Ca 59/01)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 03.12.2003; Aktenzeichen 10 AZR 124/03)

 

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Darmstadt teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst.

Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin ab dem Januar 2001 die Tätigkeitszulage der Stufe 1 nach § 26 Abs. III TVK zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 10 %, das beklagte Land 90 % zu tragen.

Die Revision wird für das beklagte Land zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung einer tariflichen Zulage.

Das beklagte Land (Berufungsklägerin) unterhält in D. ein Kulturorchester, es ist Mitglied im deutschen Bühnenverein. Die Klägerin und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Klägerin) ist Mitglied der deutschen Orchestervereinigung und seit dem 01.09.1998 am Staatstheater in D. als Harfenistin tätig. Auf den Inhalt des zwischen den Parteien unter dem 26.06.1998 abgeschlossenen Arbeitsvertrages wird Bezug genommen (Bl. 11 d.A.). Hierin heißt es u. a.:

㤠3 Frau P. H. ist zum Spielen des Instrumentes Harfe verpflichtet.

Frau … H. wird gem. § 12 Abs. 1 TVK für den dienstlichen Gebrauch ein Dienstinstrument zugewiesen.

§ 4

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 in der jeweils geltenden Fassung und den ihn ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträge.

§ 5

Besondere Vereinbarungen:

Die tarifliche Vergütung erfolgt nach Vergütungsgruppe 1 ohne Fußnöte 2.”

Streitig ist zwischen den Parteien insbesondere, ob der Klägerin eine Tätigkeitszulage nach § 26 Abs. 3 der Stufe 1 des Tarifvertrages für Musiker in Kulturorchestern (im Folgenden TVK) zusteht. Das beklagte Land zahlt der Klägerin die Zulage der Stufe 2 in Höhe von DM 566,31. Die Differenz zwischen der Tätigkeitszulage nach § 26 Abs. 3 der Stufe 1 in Höhe von DM 1.112,61 zur Stufe 2 beläuft sich auf monatlich EUR 279.32.

Eine zweite Harfenstelle existiert im Orchester des Staatstheaters D. nicht. In den Stücken, die nur mit einer Harfe besetzt sind, werden die solistischen Stellen von der Klägerin gespielt.

Sofern in einem Stück vom Komponisten eine weitere Harfe vorgeschrieben ist, wird neben der Klägerin eine weitere Harfenistin tätig. Hinsichtlich der in den Spielzeiten 1999/2000 und 2000/2001 aufgeführten Konzerte mit zwei Harfen wird auf die Aufstellung der Klägerin in der Klageschrift (Bl. 7 ff. d.A.) Bezug genommen. Bei diesen Stücken übernimmt die Klägerin stets die Stelle der Solo-Harfe. Sie hat ferner die beiden Harfenstimmen einzurichten und sich um die Pflege der beiden vorhandenen Instrumente zu kümmern. Spezielle Konzerte für das Instrument der Harfe sind im Staatstheater D. in den vergangenen Spielzeiten nicht aufgeführt worden.

Mit Wirkung ab dem 14.8.2000 erhält die Klägerin ferner eine vertraglich vereinbarte monatliche Pauschale in Höhe von 50 % des Unterschiedsbetrags zwischen der Tätigkeitszulage der Stufen 1 und 2 für die Übernahme der Stimmführung in Werken, die mit zwei Harfen besetzt sind. Auf den weiteren Inhalt des Ergänzungsvertrages vom 6.10.2000 (Bl. 12 d.A.) wird Bezug genommen.

Mit ihrer am 15.05.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem beklagten Land spätestens im Juli 2001 zugegangenen Klage hat die Klägerin die Feststellung begehrt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin die Tätigkeitszulage der Stufe 1 nach § 26 Abs. 3 TVK zu zahlen. Hierzu hat sie behauptet, in allen 58 Orchestern im Geltungsbereich des TVK, in denen nur eine Harfenstelle existiere, werde außer im Orchester des Staatstheaters D. sowie in einem einzigen weiteren Orchester dem alleinigen Stelleninhaber jeweils die Zulage der Stufe 1 gezahlt. Die Klägerin hat weiterhin die Auffassung vertreten, sie sei als Solo-Harfenistin im Sinne des TVK anzusehen, zudem sei sie auch als Stimmführerin tätig, wenn Stücke mit zwei Harfen aufgeführt würden. Da es sich hierbei nicht um eine vorübergehende oder vertretungsweise Tätigkeit im Sinne des § 6 Abs. 2 TVK handele, könne dies nicht als befristete Übertragung anzusehen sein, da sie in allen Fällen die Stimmführerposition übernehme.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das beklagte...

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