Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückforderung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren nach Inkrafttreten des SokaSiG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das SoKaSiG bildet einen Rechtsgrund i.S.d. Bereicherungsrechts nach § 812 BGB und schließt Klagen auf Rückzahlung der Beiträge zum Sozialkassenverfahren im Baugewerbe aus.

2. Zur Reichweite des Vertrauensschutzes für Bauarbeitgeber.

 

Leitsatz (redaktionell)

3. Ein schützenswertes Vertrauen der Bauarbeitgeber, in dem Zeitfenster nach Bekanntgabe der Entscheidungen des BAG vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - bzw. - 10 ABR 48/15 -, aber vor Inkrafttreten des SokaSiG am 25. Mai 2017, die gezahlten Beiträge in einem neuen Prozess einfordern zu können, gibt es nicht.

 

Normenkette

SokaSiG § 7; BGB § 812 Abs. 1; ArbGG § 98

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 09.08.2017; Aktenzeichen 11 Ca 2015/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 22.01.2020; Aktenzeichen 10 AZR 324/18)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 9. August 2017 - 11 Ca 2015/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Rückzahlung angeblich zu Unrecht geleisteter Beiträge an die beklagten Sozialkassen.

Die Beklagte zu 1. ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK), die Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren erbringt. Für Beitragsansprüche ab 1. Januar 2010 ist sie gemäß dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (kurz: VTV) die Einzugsstelle für den tariflichen Sozialkassenbeitrag. Die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK), die Beklagte zu 2., gewährt zusätzliche Leistungen zu den gesetzlichen Renten. Beides sind gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Beide Einrichtungen treten im Rechtsverkehr unter der Bezeichnung "Soka-Bau" auf.

Die Klägerin ist nicht Mitglied im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) oder im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB). Sie unterhielt im Jahr 2013 einen Baubetrieb. Sie zahlte Beiträge an den Beklagten zu 1. und erhielt im Gegenzug Erstattungen der Urlaubsvergütung. Über die Einzelheiten der Höhe der ausgetauschten Leistungen herrscht zwischen den Parteien Streit.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit zwei Beschlüssen vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - sowie - 10 ABR 48/15 - entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärung (kurz: AVE) 2008 und 2010 sowie die AVE 2014 des VTV unwirksam sind. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE 2012 und die beiden AVE 2013 unwirksam sind. Daraufhin ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Stützung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe initiiert worden. Der Deutsche Bundestag hat am 26. Januar 2017 das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) verabschiedet. Das Gesetz ist am 25. Mai 2017 in Kraft getreten. Es sieht vor, dass der VTV in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 ohne Rücksicht auf eine AVE "gelten" soll.

Am 21. Dezember 2016 hat die Klägerin Klage auf Rückzahlung der Beiträge erhoben.

Die Klägerin hat behauptet, dass sie an die Beklagten im Beitragsjahr 2013 insgesamt 116.841,49 Euro gezahlt habe. An Erstattungen habe sie 78.924,23 Euro erhalten. Sie hat die Auffassung vertreten, dass sie nach § 812 BGB Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge habe. Das SokaSiG hält sie für verfassungswidrig. Das Gesetz verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. Ein Ausnahmefall, wonach eine echte Rückwirkung ausnahmsweise erlaubt sei, sei nicht ersichtlich. Es liege keine unklare und verworrene Rechtslage vor. Auch seien keine übergeordneten Allgemeinwohlgründe ersichtlich. In Wirklichkeit seien die Sozialkassen auch nicht in ihrer Existenz gefährdet gewesen. Es liege ein Verstoß gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes vor und gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung. Es müsse ein Vertrauensschutz greifen jedenfalls zu Gunsten derjenigen Parteien, die sich vor dem Arbeitsgericht gegen die Wirksamkeit der AVE gewandt haben. Durch das Zur-Wehrsetzen hätten sie Disposition in Form von Rechtsanwaltsgebühren getroffen. Jedenfalls seit den ersten Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichtes am 21. September 2016 hätten die Bauarbeitgeber darauf vertrauen dürfen, dass sie infolge der unwirksamen AVE nicht verpflichtet gewesen seien, Beiträge zu zahlen. Da beide Beklagte unter dem gemeinsamen Dachnamen gemeinschaftlich handelnd aufgetreten seien, könne sie von beiden als Gesamtschuldner den Betrag verlangen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sei 37.917,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 13. Dezember 2016 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben die Auffassung vertreten, dass keine Rückforderungsansprüche bestünden. Die Passivlegitimation der Beklagten zu 2. sei nicht gegeben. Sie haben geme...

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