Rz. 216

Ein dem deutschen Recht vergleichbares, förmliches Erbscheinsverfahren ist dem französischen Recht fremd.[136] Nach Art. 730 C.C. kann die Erbenstellung durch alle Beweismittel nachgewiesen werden. In der Praxis werden bei unstreitigen Sachverhalten notarielle Urkunden zum Nachweis der Erbeneigenschaft verwendet. Die geläufigste[137] und in den Art. 730–1 ff. C.C. einzige gesetzlich geregelte Form ist der sog. acte de notoriété, der von einem Notar auf Antrag eines oder mehrerer Erben errichtet wird. Dem Notar sind dabei Verfügungen von Todes wegen, Eheverträge und amtliche Dokumente wie Sterbeurkunden oder Auszüge aus dem Familienbuch und dem Heiratsregister vorzulegen.[138] Im acte de notoriété sind nach Art. 730–1 Abs. 2 C.C. die Grundlagen, auf denen die Feststellungen des Notars zum Erbrecht beruhen, anzugeben. Ferner enthält der acte de notoriété die unterschriebene Versicherung der Antragsteller, dass sie nach ihrer Kenntnis zur Erbschaft berufen sind. Der Notar kann nach Art. 730–1 Abs. 4 C.C. alle Personen, deren Aussage ihm nützlich erscheint, bei der Errichtung zuziehen.

 

Rz. 217

Ein acte de notoriété erbringt im Rechtsverkehr nach Art. 730–3 C.C. bis zum Beweis des Gegenteils den Beweis der Erbenstellung. Er entfaltet nach Art. 730–4 C.C. Gutglaubensschutz zugunsten von Dritten, die mit einem Scheinerben Geschäfte abschließen. Stellt sich die Unrichtigkeit der Urkunde heraus, so kommt es nicht zu einem amtlichen Einziehungsverfahren, es wird vielmehr ein neuer, inhaltlich richtiger acte de notoriété errichtet.

 

Rz. 218

Hat der Erblasser ausschließlich Verwandte in gerader Linie (also auch keinen Ehegatten) hinterlassen und ist keine letztwillige Verfügung und kein Ehevertrag vorhanden und ist über die Erbenstellung kein Rechtsstreit anhängig und diese auch nicht bestritten, so ist nach Art. L 312–1-4 Code monétare et financier im Bankenverkehr für die Verfügung über eine bestimmte (durch Erlass des Wirtschaftsministers festgelegte), für vorläufige und sichernde Maßnahmen i.S.v. Art. 784 Nr. 1 C.C. (z.B. Beerdigungskosten, offene Arztrechnungen, Steuerschulden) zu verwendende Geldsumme (derzeit 5.000 EUR) gegen Nachweis kein notarieller acte de notoriété nötig. Ausreichend ist vielmehr, wenn sämtliche Verwandten in gerader Linie die vorstehenden Angaben versichern und durch Urkunden (Geburtsurkunden des Verstorbenen und der Erben, Bestätigung des zentralen Testamentsregisters, dass keine letztwillige Verfügung vorliegt) nachweisen. Gehört zum Nachlass kein Immobilienvermögen, gilt dies generell, wenn das Bankvermögen eine bestimmte (durch Erlass des Wirtschaftsministers festgelegte) Summe (derzeit 5.000 EUR) nicht übersteigt.

 

Rz. 219

Bei Immobilien ist gem. Art. 29, 28 Nr. 3 des Dekrets Nr. 55–22 vom 4.1.1955 und Art. 69 des Dekrets Nr. 55–1350 vom 14.10.1955 beim service chargé de la publicité foncière eine von einem Notar ausgestellte attestation notariée über die Erbfolge zu veröffentlichen. Erleidet ein Dritter durch die Nichtpublikation einen Schaden, so ist ihm dieser gem. Art. 30 Nr. 4 des Dekrets Nr. 55–22 vom 4.1.1955 zu ersetzen.

[136] Besonderheiten gelten in Elsaß-Lothringen, wo sich unter dem Begriff "certificat d’héritier" der Erbschein trotz Wiedereinführung des französischen Zivilrechts im Jahre 1924 erhalten hat, vgl. Sipp-Mercier, Die Abwicklung deutsch-französischer Erbfälle in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, S. 53; Gotthardt, ZfRV 32 (1991), 2 (3).
[137] Zu den anderen Formen vgl. Lagarde, in: Schlosser, Die Informationsbeschaffung für den Zivilprozeß, S. 207 (213); Sipp-Mercier, Die Abwicklung deutsch-französischer Erbfälle in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, S. 52.
[138] Vgl. im Einzelnen Ferid/Sonnenberger, Bd. 3 Rn 5 D 403 ff.

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